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MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN
Autoren: Mark Benecke
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Trauerfeiern wäre ein offener Mund würdelos,bei Identifizierungen können dadurch die Gesichtszüge unkenntlich werden. Um dies zu umgehen, wurde früher entweder ein Buch unter den Kiefer gelegt, bis die Totenstarre einsetzte, oder gegebenenfalls der Mund kunstgerecht zugenäht. Heutige Leichenpfleger, die sich auch »Praktische Thanatologen« oder »Modern Embalmers« nennen, kennen noch weitere Möglichkeiten und halten die ansonsten vergessene Kunst der Leichenwiederherstellung meist im Verborgenen aufrecht.
    Schon bei Todeseintritt verändern sich die Gesichtszüge, denn alle Muskeln entspannen sich. Dabei ist es gleichgültig, was ein Mensch zuletzt gesehen oder erlebt hat. Die Muskeln, die unseren Gesichtsausdruck ausmachen, werden vom Gehirn gesteuert und erschlaffen mit Eintritt des Todes zwangsläufig. Auch herausgenommene dritte Zähne verändern die Gestalt des Gesichts stark. Besonders Verwandte und Bekannte, die ihren Freund noch nie im Tiefschlaf betrachtet haben, sind oft erstaunt, wie wenig das entspannte Gesicht der Leiche dem des ehemals lebendigen Menschen ähnelt. Bei einer normalen Identifizierung, etwa nach einem Unfall, kann das ernsthafte Schwierigkeiten bereiten. Hin und wieder gehen Ermittlungen in Todesfällen wegen falscher Identifizierungen bereits in diesem Stadium in die Irre. Es ist sogar schon vorgekommen, dass Eheleute die Leiche ihres Partners nicht oder nicht sofort erkannten.
    Mit Erscheinen des Romans Gorki Park (1981) wurde eine Methode der Leichenidentifizierung bekannt, die bis heute die Erfüllung vieler kriminalistischer Wünsche darstellt: die Gesichtsnachbildung.
    Nach Todeseintritt kann ein Gesicht nicht nur entspannen und stark abblassen, sondern sich durch spätere Zersetzungsvorgänge auch grün, rot oder schwarz verfärben. Dabei kann es einfallen oder sich durch Gase, die sich zeitweise im Gewebe stauen, aufblähen.
    Lenins Leiche
    »Genossen und Genossinnen, Arbeiter und Arbeiterinnen, Bauern und Bäuerinnen«, schrieb Lenins Witwe Nadeschda Krupskaja am 29. Januar 1924 in der damals einzigen bedeutenden Zeitung der Sowjetunion, der Prawda (Wahrheit).
    »Ich möchte eine große Bitte an Euch richten. Lasst es nicht zu, dass sich Euer Leid in eine äußerliche Anbetung der Persönlichkeit von Wladimir Iljitsch verwandelt. Errichtet in seinem Namen keine Paläste oder Denkmäler. All diesen Dingen maß er in seinem Leben wenig Bedeutung bei. Er empfand sie sogar als peinlich. Ihr wisst, welches Elend und Chaos in diesem Land herrschen. Wenn Ihr das Andenken an Wladimir Iljitsch in Ehren halten wollt, dann baut Kindergärten, Häuser, Schulen und Krankenhäuser. Besser noch: Lebt in Übereinstimmung mit seinen Lehren!«
    Acht Tage vor diesem Aufruf war Lenin nach längerer Krankheit an Aderverkalkung und Gehirnblutung, vielleicht auch an Syphilis, gestorben. Frau Krupskaja ahnte aber schon, dass ihre Bitte sinnlos sein würde. Erstens entsprach sie nicht dem Willen der damaligen Sowjetführung, und zweitens gesteht kein Volk den ganz Großen das Recht auf Totenruhe zu. Selbst Charly Chaplins Filmreste und Albert Einsteins Unterlagen wurden nach deren Tod nicht, wie von beiden gewünscht, vernichtet.
    Bei Lenin war ein stilles Leichendasein noch viel weniger vorstellbar. Außerdem wünschte sich Stalin als Lenins Nachfolger auf dem Weg zur Alleinherrschaft die volle Wucht staatlicher Machtschau. Die Bitten von Lenins Witwe waren daher ebenso bedeutungslos wie der Wille des verstorbenen Staatenlenkers.
    Schon drei Monate vor Lenins Tod hatte das Politbüro auf Antrag Stalins in einer Geheimrunde darüber nachgedacht, Lenins Körper aufzubewahren. Stalin hatte seinen Vorgänger zwar längst kaltgestellt, doch auf der entscheidenden Sitzung des Politbüros gab er sich schmeichlerisch. »Manche sind der Ansicht«, sagte er, »dass die moderne Wissenschaft in der Lage ist, seinen Leichnam dauerhaft zu konservieren, lang genug jedenfalls, bis sich unser Bewusstsein an den Gedanken gewöhnen kann, dass er nicht mehr unter uns weilt.«
    Zwei Politbüromitglieder – Trotzki und Bucharin – sahen das anders. »Trotzki hat Recht«, notierte Bucharin. »Wenn wir die sterblichen Überreste Lenins zur Reliquie machen, beleidigen wir sein Andenken. Nein wirklich, wir können diese Möglichkeit vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen.« Nur wenige Tage später wurde Trotzki »wegen zersetzender, die Einheit der Partei gefährdender Aktivitäten« verurteilt; seine Stimme war
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