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MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN
Autoren: Mark Benecke
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verbreiteten.
    Schlimmer war allerdings, dass das Formalin Lenins Körper nicht vollständig durchdrang. Worobjow traute sich zunächst nicht, die notwendigen Schnitte in die Leiche zu machen, durch die das Formalin tiefer hätte eindringen können. »Ich habe nicht Angst um den Toten, ich fürchte für die Lebenden«, sagte sein Kollege Rosanow, den Worobjow um formelle Zustimmung für das Vorhaben bat. Denn den Körper Lenins mehr als notwendig anoder aufzuschneiden, war ebenfalls mit einer möglichen Todesstrafe bedroht. Das Problem war, dass nicht nur die Schultern und der Rücken der Leiche, sondern auch die Handflächen und Fingerspitzen eingeschnitten werden mussten. Worobjows Kollegen hielten sich mit ihrer Zustimmung vornehm zurück.
    Zum Glück traute sich Worobjow zuletzt doch, die Schnitte zu machen. Außerdem erhöhte er nach und nach den Alkoholgehalt des Bades, was der Haut mehr Farbe und Durchlässigkeit gab. Als Lenins Körper dann endlich in das erprobte Bad aus Glyzerin, Wasser und Kaliumazetat gelegt werden konnte, war endlich alles gut. Der Körper wurde wieder voll beweglich (und ist es noch heute) und sah vernünftig aus. Kleine Abdunklungen der Haut bleichten die Präparatoren mit Wasserstoffperoxid, und Schimmelflecken putzten sie mit Phenol ab.
    Der Rest war Routine. Die Lippen wurden vernäht, dieAugen gegen Glaskugeln ausgetauscht und die Lider darüber genäht. Als der Bruder Lenins, Dimitri Uljanow, die Leiche in ihrem neuen Glassarg begutachtete, sagte er zur allgemeinen Erleichterung: »Es verschlägt mir den Atem. Er ist in demselben Zustand, in dem wir ihn einige Stunden nach seinem Tod vorgefunden haben. Vielleicht sogar in einem besseren.« Die Präparatoren hatten ihren Hals gerettet!
    Lenins Leiche bedarf seither dauernder Pflege. Nasenspitze, Ohren und Finger trocknen sehr leicht aus und färben sich dabei mumienhaft dunkel. Deshalb trägt der Körper unter edlem Zwirn (mittlerweile neu maßgeschneidert) ein Gummikorsett, unter das regelmäßig Konservierungsflüssigkeit gespritzt wird.
    Im Mai 1997 kündigte der damalige russische Staatschef Boris Jelzin an, die Leiche werde nun bald im Grab von Lenins Mutter in Petersburg beerdigt. Doch sogleich erhob sich Protest. Die kommunistischen Hardliner beriefen sich darauf, dass der Rote Platz, auf dem das Mausoleum steht, durch Beschluss der Vereinten Nationen zum Weltkulturerbe gehöre und daher nicht angetastet werden dürfe. Weil das Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz stehe, dürfe auch Lenins Leiche nicht entfernt werden, lautete ihr unsinniger Schluss. Sicherheitshalber zementierten sie ihr Ansinnen noch mit einem Gesetz, das jede bauliche Veränderung des Roten Platzes verbietet. Doch selbst Ilja Zbarski, der als Präparator die Leiche jahrzehntelang frisch hielt, findet mittlerweile, dass die Haltbarmachung zwar eine »wissenschaftliche Leistung ohnegleichen darstellt«, aber jede weitere Aufbewahrung eine »unzeitgemäße, barbarische, der Kultur der westlichen Gesellschaften jedenfalls fremde Praxis« ist. Und wirklich, die einzigen Menschen, die sich heutenoch dauerhaft konservieren lassen, sind die anonymen Körperspender für anatomische Lehrausstellungen sowie russische Schwerverbrecher, bei denen haltbar gemachte Kumpels als schick gelten.
    Nur mit viel Geduld und technischem Know-how gelingtes, Gesichter, die zu verwesen begonnen haben, dennoch zu erhalten. Ein gutes Beispiel dafür stellt Lenins Leiche dar. Von allen kommunistischen Politikern, die einbalsamiert und ausgestellt wurden, ist einzig Lenins Gesicht noch erhalten.
     
    Gerade das Gesichtsgewebe einer Leiche wird im Normalfall sehr schnell zerstört. Besonders rasch geschieht das im Sommer und im Freien, wenn Gliedertiere die Leiche erreichen können. * Schmeißfliegen legen oft innerhalb von Minuten oder wenigen Stunden ihre Eier bevorzugt an Leichen ab, wo die winzige, gerade geschlüpfte Madenbrut die Haut leicht abkratzen kann. Das sind vor allem die feuchten und dünnhäutigen Körperstellen, die zudem noch vor Austrocknung geschützt sind: die Augen und das Innere von Nase, Ohren und Mund. So wird gerade der für die Erkennung einer Person wichtigste Körperbereich am schnellsten aufgelöst.
    Wenn Maden ein Gesicht angefressen haben, hat es aus Sicht der Ermittler keinen Sinn mehr, das Leichengewebe zu erhalten. Die Zerlöcherungen und vor allem der Gewebeverlust erlauben keine vernünftige Wiederherstellung. Stattdessen muss anhand der darunter
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