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MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN
Autoren: Mark Benecke
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einstellen musste, weil er sich an nichts mehr beteiligte.
    Dieses Sichabkapseln verstärkte sich immer mehr. Jeder Verkehr mit anderen wird gemieden, das Gasthaus, der Tanzboden wird nie besucht, tage- und nächtelang streift er alleinumher in den Wäldern. Interesse für die Umwelt zeigt er nicht, alles ist ihm gleichgültig. Ohne ein Wort zu sagen, läuft er von zu Hause fort. Als er nach fast einem Jahre zurückkehrt, hält er es nicht für nötig, sich über seine Erlebnisse zu äußern. Die Sorge der Seinen lässt ihn kalt. Stumpf und gefühllos steht er am Grabe seiner Eltern, keine Miene verrät irgendeine Anteilnahme oder Trauer. Dabei ist er aber nicht bösartig. In Wut gerät er niemals, seine Arbeit verrichtet er zwar ohne Liebe, aber willig. Tiere behandelt er gut.
    Für die Personen, mit denen er hin und wieder zusammentrifft, seine Nachbarn und die Bewohner der Stadt, ist er der harmlose, etwas absonderliche alte Mann, der »Vater Denke«. Mit niemandem lebt er in Unfrieden, für jeden Bettler hat er etwas übrig. Kleine Neckereien bringen ihn nicht aus der Ruhe. Zurückgezogen in seiner Klause, fristet er sein Leben. Bezeichnend für die gute Meinung, die man von ihm hatte, ist ja der Unwille, der sich bei seiner Verhaftung regte. Nur eine Frau gibt an, dass sie seine Wohnung nie zu betreten wagte. Er war ihr unheimlich. Sie fühlte das Grauen in ihm.
    Unter der Oberfläche aber feierten Gefühle und Gedanken Orgien. Menschen zu Dutzenden werden gemeuchelt, wie Tiere ausgeschlachtet, gewogen, zerteilt und gegessen, aus der Haut werden Hosenträger und Riemen angefertigt und getragen, genaue Listen über das Gewicht der Opfer werden angelegt, die Zahlen wie zur Unterhaltung geordnet und addiert, Zähne zu Hunderten gesondert und wie Spielmarken aufgehoben, kleine Lumpenstücke werden sauber gewaschen, mit Menschenhaut umschnürt und nach nur ihm bekannten Systemen aufgestapelt, eigenes Geld wird hergestellt.
    Hier der duldsame, friedfertige, gutmütige alte Sonderling, dort die mordgierige Bestie, die Menschen meuchelte, fraß und aus ihrer Haut Riemen schnitt. Beides zu gleicher Zeit in einer Person, das ist Denke.
    Ob die Diagnose Schizophrenie die richtige ist, kann mit Sicherheit nicht gesagt werden, wahrscheinlich ist sie. Nachallem aber werden wir in Karl Denke nicht das verabscheuungswürdige Ungeheuer sehen müssen, sondern einen Unglücklichen, der nach ewigen, ehernen, großen Gesetzen seines Daseins Kreise vollenden musste.
     
    ―
     
    Denkes Fall ist düster, undurchsichtig und traurig. Das letzte Foto zeigt den Serienmörder mit gekämmtem Bart und dickem Mantel in einem schlichten Sarg. Obwohl Tote immer entspannte Gesichtszüge haben, meint man in Denkes Gesicht wahlweise große Anstrengung oder den Anflug eines seligen Lächelns zu erahnen.
    * Die Bezeichnung »Idiot« war zu Pietruskys Zeit in diesem Zusammenhang nicht abwertend gemeint.
     
Räuber Kneißl
    Nicht immer geht der Schrecken um, wenn Verbrechen geschehen. Besonders dann, wenn der Täter ein Landbursche ist und als Sohn eines Müllers »denen da oben« scheinbar eins auswischt. Im Fall des Räubers Kneißl ist diese Einschätzung besonders interessant. Er selbst hat sich nie als eine Art Robin Hood gesehen, für den ihn viele seiner bayerischen Landsleute hielten. Kneißl hatte Recht. Denn im Grunde war er nur auf die schiefe Bahn geraten.
    Seine Eltern waren kauzige, wenn nicht gar zwielichtige Gesellen. Anstatt ihre kleine Gastwirtschaft weiter zu betreiben, kauften sie 1886 die einsam gelegene Schacher-Mühle, die in urbayerischem Gebiet lag, zwischen Augsburg, München und Freising, in dichten Wäldern und unwegsamem Moos.
    Müller standen damals in schlechtem Ruf und wurden in noch weiter zurückliegenden Zeiten zusammen mit Schäfern und Hirten zu den »unehrlichen Leuten« gerechnet. Der Grund dafür war, dass sie im Krieg daheim bleiben mussten, um ihre Betriebe aufrechtzuerhalten. Ohne blutige Kämpfe für die Heimat gab es aber keine Ehre, und so galten die bodenständigenHerren eben als unehrlich. Als der spätere Räuber Kneißl am 4. August 1875 geboren wurde, war der Makel der Unehrlichkeit zwar schon fast vergessen, hallte aber immer noch dunkel nach.
    Außerdem waren Kleinkriminelle häufig Gast in der strategisch gut, weil abseits gelegenen Schacher-Mühle. Als Vater Kneißl 1892 seine Finger bei der Plünderung der Wallfahrtskirche Herrgottsruh im Spiel hatte, wurde er verhaftet und ins nahe gelegene
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