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MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN
Autoren: Mark Benecke
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von Kneißl verrate.
    Vöst konnte zu diesem Angebot, das ihn seiner Armut entreißen würde, nicht nein sagen. Am Abend des 3. März 1901 rückte die Polizei auf den Aumacher-Hof der Eheleute Merkl ein. Die Merkls gaben nach einigem Hin und Her zu, dass Kneißl im Haus sei. Der kam aber nicht hervor, sondern verschanzte sich irgendwo im Gebälk.
    Am 4. März war die Belagerungsmannschaft auf 150 Gendarmen angewachsen. Dennoch traute sich niemand, den Räuber aus seinem Versteck zu holen. Erst am nächsten Tag wurden sage und schreibe 43 Beamte abkommandiert, die das Haus nach einem halbstündigen, vorsorglichen Beschuss in Richtung Kneißl stürmten. Sie holten den schwer verletzten Mann heraus, nicht ohne ihm auf dem Weg mehrere ordentliche Schläge und Tritte zu verpassen. Erst die Schutzleute aus München konnten Kneißl vor weiteren Misshandlungen der seit Monaten gereizten und genasführten örtlichen Gendarmen bewahren.
Kneißls Ende
    Der Volksheld wider Willen war derart stark verletzt, dass der Pfarrer ihm sicherheitshalber die Letzte Ölung gab. Dann ging es auf einem offenen Pferdewagen ab zum Bahnhof und Richtung Gefängnis. In München konnte der Zug wegen der anwesenden Menschenmassen nicht einlaufen. Der Lokführer musste den Zug rückwärts wieder aus dem Bahnhof hinausfahren, damit Kneißl in der Bayerstraße ausgeladen werden konnte.
    »Schaun S’, i hätt’ Ihna öfter derschießn können, wenn i mögn hätt«, sagte Kneißl auf der Fahrt zum Kommandanten. »Aber i hab’s net tun mögn!«
    »Als i di’ in deim Versteck beim Eigenhart beobachtet hab’«, erwiderte ihm der Polizist, »hätt’ i di’ aa leicht derschießn könna.«

»Sie hättn mi’ net ’troffen«, sagte Kneißl darauf, »mei Stutzn waar besser ’gangen.«
    Dass Kneißl keineswegs sofort zurückschoss, wenn er in Bedrängnis war, belegen zwei Dinge. Erstens sagte er vor Gericht überzeugend aus, dass er schon damals beim Fleckl-Bauer aufgegeben hätte, wenn er geahnt hätte, dass sein Leben danach nur aus Flucht bestehen würde. Er habe seinerzeit nicht auf eine Person gezielt, sondern nur nach unten geschossen, um die Angreifer zu vertreiben. Zweitens fanden sich auf dem Speicher, in dem Kneißl geschnappt wurde, unter anderem sein Gewehr und Revolver. Sie waren geladen, aber er hatte nicht abgedrückt.
    Auch sonst bewahrte Kneißl einen klaren Blick. Bei der Gerichtsverhandlung Mitte November 1901 merkte der an Händen und Füßen Gefesselte ganz richtig an, dass das alles eher einem Theater gleiche. Die Zuhälter und Prostituierten im Saal seien die Zuschauer, die Juristen und er die Schauspieler. Allerdings erschien Kneißl zum Prozess immer fein gekleidet; seine Mutter hatte ihm einen dunklen Anzug samt weißem Einstecktuch, hellblauer Krawatte und polierten Schuhen gekauft.
    Danach wurde Kneißl krank. Er freundete sich gut, mitunter auch zu gut, mit den Krankenschwestern an. Jedenfalls wurde er durch deren Pflege für das Fallbeil gerettet.
    Ein Unschuldslamm war der Räuber so oder so nicht, und der Staatsanwalt sprach daher sehr deutlich: »Kneißl muss aus der menschlichen Gesellschaft ausgemerzt werden. Fünfzehn Jahre Zuchthaus wären für ihn keine entsprechende Strafe. Ich habe aus voller Überzeugung Anklage wegen Mordes erhoben. Und ich kann sagen, die Hauptverhandlung hat mich in dieser traurigen Überzeugung nur noch bestärkt … Ich würde es für ein Unglück halten, wenn ein Mensch wie Kneißl nach 15 Jahren wieder herauskäme; denn dass der Angeklagte alsdann Arbeit bekäme, ist nicht anzunehmen. Dem Kneißl würde nichts anderes übrig bleiben, als sein räuberisches Handwerk vonneuem aufzunehmen … Tragen Sie, meine Herren Geschworenen, durch Ihren Wahrspruch dazu bei, dass ein solcher Mordbube für immer unschädlich gemacht wird.«
    Der Verteidiger hatte wenig dagegenzusetzen. Nach anderthalbstündiger Beratung kam der Entscheid: Mord an Brandmeier, vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge bei Scheidler. Nun mussten die Berufsrichter das Strafmaß festlegen. Nach einstündiger Beratung wurde das Urteil verkündet: Kneißl wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt – und der Todesstrafe. Der Verurteilte wurde kreideweiß, und seine Mutter brüllte aus dem Zuhörerraum: »Justizmord!« Sie war es auch, die nach der Hinrichtung am 21. Februar 1902 um sieben Uhr morgens in Augsburg Kneißls Leiche für 60 Goldmark kaufte.
    Vor seiner Hinrichtung hatte Kneißl noch sechs Glas Bier geleert. Er
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