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MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN
Autoren: Mark Benecke
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Wachtmeister Scheidler, einließ, hatte Kneißl einen Verdacht. Als der Bauer das Bier und die Würste holte, hatte er ihn wohl verraten und dann mit seinem Gerede am Tisch festgehalten. Der Sinn der Sache war klar. Obwohl der Fleckl-Bauer selbst in der Halbwelt lebte, wollte er sich die 400 Mark Belohnung sichern.
    Kneißl schnappte sich sein Drillingsgewehr und verzog sich nach hinten. Da kamen auch schon die Gendarmen mit einigen Helfern aus der Nachbarschaft herein. Als Brandmeier am den Atem anhaltenden Kneißl vorbeiging, drückte dieser ab. Im Dunkeln erschoss Kneißl sowohl den Kommandanten als auch den Wachtmeister. Die sechs Helfer suchten daraufhin das Weite.
    Später stellte sich heraus, dass Kneißl den Kommandanten nur in den Oberschenkel getroffen hatte. Dort war aber die Schlagader zerrissen, und so verblutete der Mann. Erst als derWachtmeister zurückschoss, zielte Kneißl seinerseits. Trotzdem bekam Scheidler nur eine Ladung Schrot in den rechten Fuß; drei Wochen später starb er an einer Entzündung der Wunde.
Die Legende entsteht
    Das mehrstrophige Kneißl-Lied macht unseren frisch gebackenen Helden bei dieser Tat zum Unschuldslamm. Ein Mord würde die schöne Geschichte verderben, und so heißt es dort, dass Mathias am liebsten fortgelaufen wäre, als er die Bescherung mit den angeschossenen Gendarmen sah. Natürlich lief er auch wirklich weg. Allerdings fand sich nun auf jedem Bahnhof der Steckbrief, der auch in allen Zeitungen abgedruckt wurde: »25 Jahre alt, untere Mittelgröße [Kneißl war 1,64 Meter groß; M. B.], blond, blaue Augen, oberbayerischer Dialekt, am linken Oberschenkel zwei alte Schussnarben … schwarzer Hut, dunkler Anzug … blau gestreiftes Hemd mit Stehkragen, schwarze Wadenstrümpfe, gelbe Schuhe.«
    Jetzt wurde es ernst. Zivilpolizisten schwärmten aus, um Kneißls zahlreiche Gastgeber auszuhorchen. Einmal war es ganz knapp. Sechzehn Gendarmen hatten den Popfinger-Hof aufgesucht, dessen Besitzer zugab, Mathias Kneißls Vater gekannt zu haben. Den jungen Kneißl habe er aber noch nie getroffen. Während fünf Gendarmen das Haus auf den Kopf stellten, wurde es von den anderen von außen bewacht. Bauer Popfinger zuckte die Schultern, spannte seinen Jauchewagen an und fuhr aufs Feld. Dort sprang Kneißl heraus – zwar stinkend, aber frei.
    So ging es immer weiter, bis schließlich Witz-Postkarten die Runde machten und die Obrigkeit blamierten. Zugleich begannen sich Geschichten, viele davon frei erfunden, in den winterlichen Bauernstuben zu verbreiten. Kneißl hatte es, ohne sein Wollen, zum Liebling der Bauern gebracht. Spott verbreitete sich auf den Bühnen, und im Volkskabarett standKneißl immer mehr für den Kasper, der die dicken, dialektfreien Herren narrte.
    Die Wirklichkeit war allerdings nicht ganz so lustig. Kneißl war ständig auf der Flucht, und nur die eine oder andere Liebschaft konnte ihn nächtens darüber hinwegtrösten, dass er nun ein Ausgestoßener ohne Hoffnung auf Rückkehr in die Gesellschaft war. Seine Gastwirte waren auch keineswegs großzügige Unterstützer, sondern ließen sich oft dafür bezahlen, dem Gejagten einen Strohsack und eine Decke zur Verfügung zu stellen. »Wenn ich ihnen ein Zehn-Mark-Stück geben hab’«, berichtete Kneißl bei seiner Verhandlung, »nachher hab’ ich dafür höchstens ein paar Mass Bier und was zu essen ’kriegt, herausgegeben hat mir keiner mehr was. Ich hab’ mir das gefallen lassen müssen, weil sie mich sonst verraten hätten.«
    Von seiner Familie erhielt Kneißl die meiste Unterstützung. So brachte ihm seine Schwester einen warmen Mantel, als es im Februar sehr kalt wurde. Zur Übergabe suchten sich die beiden einen schlauen Platz: das Ausflugslokal Rosenau, von dem jeder dachte, dass Kneißl es aus Vorsicht nie betreten würde. Doch die Gäste erkannten den Räuber und Volkshelden nicht.
Kopfgeld
    Irgendwann musste das Versteckspiel jedoch schief gehen. Es war aber nicht Unvorsichtigkeit, die Kneißl den Kopf kostete, sondern echte Ermittlungsarbeit.
    Der Niedergang begann mit der Verhaftung von Kneißls 24-jährigem Vetter Vöst in München. Ihm drohte eine saftige Strafe, weil er die Stadt wegen anderer Straftaten nicht mehr betreten durfte. Als einer der Beamten, Kommissar Joseph Bössert, bemerkte, dass Vöst mit Kneißl verwandt war, kochte er den armen Jungen nach allen Regeln der Kunst weich. Bössert bot Vöst an, ihm das Kopfgeld von mittlerweile 1000Mark auszuzahlen, wenn er den Aufenthalt
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