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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition)
Autoren: Jed Rubenfeld
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über dem Kopf emporragten, waren so zart, die Finger so anmutig, die Beine so jungfräulich. »Ich kann nicht mehr warten.« Die Frau zuckte zusammen, als einer ihrer bloßen Schenkel unendlich sanft gestreichelt wurde. Gestreichelt allerdings von dem Rasiermesser, das eine scharlachrote Spur hinterließ, als es über ihre Haut glitt. Sie schrie auf, ihr Rücken wölbte sich zu exakt dem gleichen Bogen wie die hohen Fenster, und das rabenschwarze Haar fiel ihr über den Rücken. Nach einem zweiten Streicheln am anderen Oberschenkel schrie die Frau erneut auf, lauter diesmal.
    »Nein«, ermahnte sie die Stimme ruhig. »Nicht schreien.«
    Das Mädchen konnte nur verständnislos den Kopf schütteln.
    »Du musst einen anderen Laut von dir geben.«
    Wieder schüttelte sie den Kopf. Sie wollte sprechen, konnte aber nicht.
    »Doch, du musst. Ich weiß, dass du es kannst. Ich hab dir doch erklärt, wie es geht. Erinnerst du dich nicht?« Das Rasiermesser wurde wieder aufs Bett gelegt. Im zitternden Kerzenschein sah das Mädchen an der Wand den Schatten der Reitgerte, die sich nun erhob. »Du willst es. Du musst klingen, als würdest du es wollen. Solche Laute möchte ich von dir hören.« Sanft, doch unerbittlich zog sich die Seidenkrawatte um den Hals der jungen Frau zusammen. »Mach schon.«
    Sie bemühte sich, der Aufforderung zu folgen, und stieß einen leisen Laut aus: ein flehendes Stöhnen, wie es noch nie über ihre Lippen gekommen war.
    »Ja, so ist es gut.«
    Das Ende der weißen Krawatte in der einen Hand, ließ der Angreifer mit der anderen die Lederpeitsche auf den Rücken des Mädchens niedersausen. Erneut gab sie den Laut von sich. Ein zweiter, härterer Hieb. Der brennende Schmerz war so stark, dass die Frau gerade noch an sich halten konnte, um den aufsteigenden Schrei in den anderen Laut zu verwandeln.
    »Schon besser.« Der nächste Schlag landete nicht auf ihrem Rücken, sondern direkt darunter. Sie öffnete den Mund, aber im gleichen Augenblick zog sich die Schlinge noch enger zusammen und würgte sie. Dieses Würgen wiederum ließ ihr Stöhnen echter erscheinen, abgerissener – ein Effekt, der ihrem Peiniger offensichtlich Vergnügen bereitete. Drei weitere Schläge, lauter und schneller, klatschten auf die weichsten Stellen ihres Körpers, zerrissen ihre Kleidung und hinterließen leuchtende Streifen auf der weißen Haut. Trotz der rasenden Schmerzen stieß die Frau bei jedem Hieb, wie es ihr befohlen worden war, ein Stöhnen aus, das ebenfalls lauter und schneller wurde.
    Dann hörte der Hagel von Schlägen auf. Sie wäre schon längst zusammengebrochen, aber die Schnur von der Decke, die um ihre Handgelenke geschlungen war, hielt sie auf den Beinen. Ihr Körper war jetzt gezeichnet von Striemen. An ein oder zwei Stellen lief ihr das Blut herunter. Einen Moment lang wurde es ganz schwarz um sie, dann kam das Flackerlicht zurück. Sie erschauerte von oben bis unten.
    Dann schlug sie die Augen auf. Ihre Lippen bewegten sich, um etwas zu flüstern. »Sag mir meinen Namen.« Sie bekam keine Antwort.
    Ohne den Blick von dem zarten Hals der Frau zu nehmen, lockerte der Angreifer die seidene Schlinge. Mit nach hinten hängendem Kopf, von dem das schwarze Haar in Wogen auf ihre Hüften fiel, atmete sie einen Moment lang frei. Dann spannte sich die Krawatte wieder um ihre Kehle.
    Die junge Frau konnte nicht mehr deutlich sehen. Sie spürte eine Hand, deren Finger leicht über ihre Lippen streiften. Auf einmal zogen diese Finger die Krawatte noch straffer, bis selbst ihr Würgen aufhörte. Wieder versank das Kerzenlicht in Dunkelheit. Und diesmal kehrte es nicht zurück.

     
    »Es gibt Zug unter dem Fluss?« Ungläubiges Staunen lag in Sándor Ferenczis Gesicht.
    Nicht nur existierte solch ein Zug wirklich, versicherten Brill und ich ihm gemeinsam, sondern wir würden auch gleich damit fahren. Neben dem neuen Tunnel unter dem Hudson River wartete die Untergrundstation Hoboken mit einer weiteren Neuerung auf: kompletter Gepäckservice. Reisende, die in den Vereinigten Staaten ankamen, mussten ihr Gepäck lediglich mit dem Namen ihres Hotels in Manhattan kennzeichnen. Dann wurden die Koffer von Trägern im Gepäckwagen verstaut und auf der anderen Seite von Bediensteten in Empfang genommen. Nachdem wir uns diese Annehmlichkeit zunutze gemacht hatten, traten wir hinaus auf den Bahnsteig, um die Aussicht auf den Fluss zu genießen. Mit dem Sonnenuntergang hatte sich der Nebel gelichtet und den Blick auf die
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