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Mord und Mandelbaiser

Mord und Mandelbaiser

Titel: Mord und Mandelbaiser
Autoren: Jutta Mehler
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den Argwohn, dass er langsam, aber sicher auf ein mittelalterliches Niveau zurückfiel.
    Der Gedanke an längst überholte Heilverfahren war es wohl, der sie Dr. Friesing fragen ließ: »Sind Sie zum Kondolieren gekommen oder um jemanden zur Ader zu lassen?«
    Auf Friesings Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, das er gleich darauf (offenbar war ihm eingefallen, wo er war und weshalb) zu unterdrücken versuchte.
    Jetzt sieht er aus wie ein Konfirmand, dachte Thekla. Mit dem dunklen Sakko, dem weißen Hemd und dem Bemühen um einen feierlich-ernsten Gesichtsausdruck würde er auf ein Konfirmationsfoto passen.
    »Ich bin auf Anweisung von Frau Sauer hier«, sagte Friesing.
    Thekla sah ihn verständnislos an.
    Da fügte er mit noch breiter werdendem Grinsen hinzu: »Frau Sauer arbeitet bei mir als Sprechstundenhilfe und hat sich in den Kopf gesetzt, mein Wartezimmer endlich mit Patienten zu füllen. Sie macht überall Reklame für mich, verlangt aber im Gegenzug von mir, dass ich mich in Moosbach, Scheuerbach und Granzbach bei sämtlichen Events sehen lasse. Frau Sauer hat quasi ein Edikt verhängt: ›Kein gesellschaftliches Ereignis ohne Dr. Friesing, damit er allseits wahrgenommen und irgendwann auch akzeptiert wird‹.«
    Und da heißt es immer, auf dem Land herrscht eklatanter Ärztemangel, ging es Thekla durch den Kopf.
    Als hätte Friesing ihre Gedanken erraten, fuhr er fort: »Es ist ja nicht so, dass es in der Region nicht genügend Arbeit für zwei Ärzte gäbe oder dass man mir von Anfang an mit Misstrauen gegenübergetreten wäre. Aber ich habe mir offenbar in der ersten Woche nach Praxiseröffnung ein paar echte Feinde gemacht.«
    »Feinde?« Thekla war überrascht. »Ist Ihnen ein gravierender Fehler unterlaufen?«
    »Kann man wohl so sagen«, antwortete Friesing sarkastisch. Er schaute sich kurz um und senkte die Stimme, obwohl niemand nahe genug stand, der hätte zuhören können.
    »Erinnern Sie sich an den Mordfall Ulrike Meiler, Frau Stein?«
    »Natürlich«, erwiderte Thekla. »Im Frühjahr ist ja in sämtlichen Zeitungen darüber berichtet worden, dass Meiler seine Frau ermordet hat, indem er sie als elektrischen Widerstand in einen Stromkreis einbaute.«
    Friesing nickte. »Dr. Stenglich bestätigte im Totenschein einen kardiogenen Schock, wogegen nichts zu sagen ist, falls man den Standpunkt vertritt: Wäre Frau Meilers Herz nicht stehen geblieben, wäre sie ja wohl nicht gestorben.«
    Thekla runzelte die Stirn. »Ich entsinne mich, dass erst ganz kurz vor Ulrike Meilers Einäscherung …« Sie dachte einen Moment nach, dann war die Erinnerung da.
    Im April waren die drei Städtchen, die das ganze Jahr über verschlafen auf einem abgeflachten Bergrücken östlich der Donau hockten, von zwei saftigen Skandalen gebeutelt worden, die insoweit miteinander in Zusammenhang standen, als der erste den zweiten überhaupt erst möglich gemacht hatte.
    »Der neue Krematoriumschef war dahintergekommen, dass der Moosbacher Bestatter routinemäßig seinen Müll mitsamt seinen Klienten verbrennen ließ«, sagte Friesing, offenbar in der Absicht, ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. »Solange es üblich gewesen war, Särge vor der Einäscherung nicht mehr zu öffnen, hatte der Bestatter auf diese Weise seinen gesamten Abfall kostengünstig entsorgt, denn alles, was er angeliefert hat, glitt unbesehen in die Verbrennungsanlage.«
    »Der neue Chef machte dem Treiben ein Ende«, ließ sich Thekla vernehmen, um Friesing zu zeigen, dass sie im Bilde war.
    »Ja«, sagte Friesing. »Weil er von Anfang an klarstellte, dass unter seinem Regime jeder Sarg geöffnet und kontrolliert werden müsse. Logischerweise dauerte es nicht lang, bis die erste Fuhre Müll neben einer Leiche entdeckt wurde.«
    Thekla erinnerte sich gut an die Schlagzeile im Tagblatt: »Der neue Krematoriumschef schaut genauer hin.«
    Der Verfasser jener Schlagzeile und des dazugehörigen Artikels ahnte wohl gar nicht, wie recht er damit hatte, dachte sie.
    An dem Tag, als Ulrike Meilers Sarg geöffnet wurde, schaute der Krematoriumschef offenbar ganz genau hin.
    »Die Leiche ist ihm irgendwie komisch vorgekommen, so verkrampft, so verzerrt«, fuhr Friesing fort. »Deshalb hat er sie untersucht und an beiden Daumen seltsame Male entdeckt. Daraufhin hat er mich gerufen.«
    »Und wie haben Sie dann herausbekommen, woran Frau Meiler wirklich starb?«, fragte Thekla interessiert.
    »Typische Strommarken sollte man als Arzt eigentlich erkennen«,
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