Mord und Brand
jetzt, mein lieber Vetter Franz…«
X/2.
Was für ein Tag! Nechyba und seine Gruppe waren eingeteilt worden, dem Kommissariat im 19. Bezirk zu helfen. Nach einer Messerstecherei, die Sonntag früh vor dem Café Seiz auf der Heiligenstädter Lände stattgefunden hatte, mussten die Beteiligten ausgeforscht und verhaftet werden. Der Aufwand war deshalb notwendig, da bei der Massenrauferei ein 21-jähriger Hilfsarbeiter infolge eines Herzstiches gestorben war. Nechyba und seine Leute waren vom Morgen bis zum späten Nachmittag unterwegs gewesen. Als gegen halb sechs Uhr abends endlich alle Beteiligten dingfest gemacht und ins Landesgericht eingeliefert worden waren, eilte Nechyba zu seinem Lieblingsfleischhauer. Eine Minute vor sechs Uhr, gerade als Vinzenz Mostbichler den Rollladen herunterlassen wollte, keuchte Nechyba bei der Türe herein.
»Halt! Net zusperren! Ich brauch’ noch ’was…«
»Ah, der Herr Inspector! Was schnaufen S’ denn so?«
»Na weil ich mich getummelt 134 hab’. Sonst wär’ ich bei Ihnen vor der verschlossenen Tür g’standen…«
»Geh’n S’! Ich sperr’ morgen eh wieder auf…«
»Das hilft mir aber nix, wenn ich heut’ Abend was zum Essen brauch’«, grantelte Nechyba und drängte an dem Fleischhauermeister vorbei ins Verkaufslokal.
»Haben S’ noch Würsteln? Ich hab heut so einen Würschtel-Gusto.«
»Ui! Das schaut schlecht aus… Warten S’, ich schau hinten im Eisschrank nach, ob ich da noch was hab’…«
Mostbichler kam mit vier Paar Frankfurter zurück, die ihm Nechyba vom Fleck weg abkaufte. Danach ging er zur Greislerei der Lotte Landerl. Die hatte natürlich auch schon zugesperrt. Da er aber wusste, dass die Greislerin nach dem Schließen noch einige Zeit lang in ihrem Laden herumkramte, klopfte er beharrlich an die Glastüre. Und wirklich: Nach kurzer Zeit erschien die Landerl und machte auf.
»Da schau her, der Herr Inspector. Was brauch’ ma denn?«
Nechyba kaufte das restliche Gebäck, das noch da war: zwei Semmeln, ein Wachauer Laberl und ein Salzstangerl. Weiters erstand er einen Tiegel Senf sowie ein Glas Essiggurken. Nachdem er bezahlt und sich bei der Landerl für die freundliche Bedienung nach Geschäftsschluss bedankt hatte, ging er ins Café Sperl. Hier orderte er aus reiner Gewohnheit einen Goldblatt, obwohl ihm gar nicht so sehr nach Alkohol zumute war. Trotzdem genoss er den Goldblatt, der nicht unwesentlich dazu beitrug, dass er sich endlich entspannte. Mit Muße blätterte er die Tageszeitungen durch und begab sich schließlich kurz vor acht Uhr nach Hause. Wie gewohnt setzte er sich mit einem zufriedenen Schnaufer an den Küchentisch und zog sich als Erstes Schuhe und Socken aus. Seine roten, aufgequollenen Füße genossen die Kühle des Linoleumfußbodens. Da noch von gestern etwas Wasser im Krug war, goss er sich ein Glas ein und trank es nach und nach in kleinen Schlucken aus. Dazwischen starrte er einfach ins Narrenkastl. Schließlich raffte er sich auf, ging auf den Gang hinaus und füllte bei der Bassena den Krug mit frischem Wasser. Als das Wasser in den Krug rauschte, vermeinte er unten im Stiegenhaus einen Schrei zu hören. Er drehte den Wasserhahn ab und lauschte. Von unten erklangen einige merkwürdige Geräusche, aber nichts Alarmierendes. Also füllte er den Krug mit Wasser voll und ging zurück in seine Wohnung. Er hatte die Tür schon fast geschlossen, als er plötzlich einen gellenden Schrei hörte:
»Nechyba!«
Die Stimme seiner Aurelia! Wie vom Blitz getroffen, ließ er den Wasserkrug fallen und rannte los. Bloßfüßig über die steinerne Wendeltreppe. Erster Stock. Parterre. Krächzendes Stöhnen. Kellerabgang. Zwei miteinander ringende Körper. Nechyba packte den Mann. Seine Pranke griff in dessen Gesicht. Die Finger bohrten sich in Augen. Der Fremde riss sich los. Er trat Nechyba in den Unterleib. Der Inspector wankte. Aurelia riss den Fremden an den Haaren. Eine Faust traf Nechybas Kinn. Ihm wurde schwarz vor den Augen. Weitere Faustschläge. Der Inspector drehte sich weg und kam wieder zu sich. Er schlug mit aller Kraft in die Magengrube des Fremden. Linker Haken in dessen Nieren. Die Faust des Fremden krachte an sein Ohr. Nechyba traf dessen Nase. Aurelia trommelte mit den Fäusten auf den Fremden ein. Nechyba wich einem Faustschlag aus. Traf das Kinn des Fremden. Der wankte, duckte sich unter Nechyba durch und rannte die Kellerstiege empor. Nechyba umarmte Aurelia. Die schrie:
»Renn’ ihm nach!
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