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Mord und Brand

Mord und Brand

Titel: Mord und Brand
Autoren: Gerhard Loibelsberger
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Doppelmanteltaschenuhr hervor. Mit einem energischen Ruck riss er die Hosenschlaufe, an der Kette und Uhr hingen, ab. Die Beute verschwand in der Innentasche seines Sakkos. Dann zwängte er sich durch die Klotür, die hinter ihm von Drabeks Körpergewicht zugedrückt wurde. Gemütlich schlenderte er nun zurück in die Wirtsstube. An seinem Tisch trank er aus, nahm die Zeitung und verabschiedete sich vom Bäckermeister mit einem Augenzwinkern und einem jovialen »Na dann, bis zum nächsten Mal…«. Beim Hinausgehen drückte er dem Kellner ein paar Münzen in die Hand und sagte »Stimmt schon!«. Worauf dieser ein lautes »Habedieehre, Herr Doktor, und auf Wiedersehen!« von sich gab. Oprschalek spazierte in Richtung 9. Bezirk. Als er an einem alten Mietshaus vorbeikam, dessen Haustür offen stand, schlüpfte er rasch in den düsteren Flur. Im Dunkeln des Kellerabgangs nahm er die gestohlene Brieftasche, holte die darin enthaltenen Scheine und Münzen heraus und warf die leere Hülle die Kellerstiege hinunter. Zurück auf der Gasse raschelte und klimperte er fröhlich mit dem Geld in seiner Hosentasche. Er pfiff vor sich hin und dabei fiel ihm ein völlig unsinniger Reim ein, den er leise vor sich hin summte:
    »Ja, ja, so ein Polizeiagent hat’s net leicht am End…«
     
     
     

IX.
    Die Lampe der Straßenbeleuchtung schaukelte im winterlichen Schneesturm. Da sie sich auf der Höhe seines im 2. Stock befindlichen Zimmers befand, verursachte sie abenteuerliche Licht- und Schattenspiele an den Wänden. In seinem schmalen Bett wälzte er sich hin und her. Er konnte nicht einschlafen. Stattdessen beobachtete er die tanzenden Schemen, lauschte dem orgelartigen Pfeifen des Wintersturms sowie dem fallweisen Quietschen der Tramway, die vor seinem Hotel um die Ecke fuhr. Irgendwann hatte er das Herumwälzen satt. Er stand auf, stieg in seine Hose, zog die Hosenträger hoch und schlüpfte ohne Socken in die Schuhe. Budka öffnete die Tür seines Hotelzimmers, trat auf den schmalen Gang, sperrte sorgfältig hinter sich ab und ging zum Etagen-WC. Später, als er in sein Zimmer zurückgekehrt war, nahm er den Krug und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Müde trat er ans Fenster und blickte ins Schneetreiben hinaus. Vor ihm lag der Radetzkyplatz, dessen einheitliche Schneedecke von einer einsamen Fußspur unterbrochen wurde. Ihn fröstelte. Tja, das Hotel Hungaria war eben nicht das Grand Hotel. Ergo dessen wurde hier in der Nacht nicht geheizt. Auch dann nicht, wenn das Thermometer, so wie heute, 7 Grad unter Null anzeigte. Er zog Schuhe und Hose aus und kroch zurück ins warme Bett. Dankbarkeit und Zufriedenheit durchströmten ihn, dass er sich ein Dach über dem Kopf sowie ein eigenes Bett leisten konnte. Er zog die Decke bis über die Ohren hoch, genoss die wohlige Wärme und schlief ein.
     
    Als er aufwachte, war es hell. Aus dem grauen Winterhimmel tanzten einige Schneeflocken, die der Wind durcheinanderwirbelte. Obwohl er weiterschlafen wollte, nötigte ihn der Druck seiner Blase aufzustehen. Ungeduldig schlüpfte er in Hose und Schuhe, wobei er ein paar Tropfen verlor. Wie er das hasste! »Wie ein alter Mann«, murmelte er. Budka bot alles, was er in seinem verschlafenen Zustand an Körperbeherrschung zustande brachte, auf, damit ihm dies auf dem Weg zum Etagen-WC nicht noch einmal passierte. Dort klappte er die Klobrille hoch und entleerte seine übervolle Blase mit einem Gefühl unendlicher Erleichterung. Zurück in seinem Zimmer schlüpfte er noch einmal ins Bett und überlegte, was er heute tun wollte. Von wollen konnte aber beim besten Willen keine Rede sein. Er musste sich endlich mit diesem Direktor Hubendorfer befassen. Wie sollte er ihn umbringen, wenn er außer Namen und Beruf nichts von ihm wusste? Es war höchste Zeit, dass sich Budka in die Zentrale des Ersten Wiener Consum-Vereins 22 begab und dort den Herrn Direktor auskundschaftete. Wie, das war ihm noch nicht klar. Darüber grübelte er nun schon fast eine Woche. Das war auch die Ursache dafür, dass er gestern nicht einschlafen konnte. Es half nichts. Er musste aus dem herrlich warmen Bett aufstehen und endlich Taten setzen. Voll Widerwillen setzte er seine nackten Füße auf den blank polierten Holzboden. So blieb er einige Zeit sitzen und stierte vor sich hin. Dabei kratzte er sich zwischen den Beinen. Es juckte nicht nur am Hodensack, sondern überall. Kruzitürken! Wenn er einem Herrn Direktor gegenübertreten wollte, musste er wie ein Herr
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