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Mord in Londinium

Titel: Mord in Londinium
Autoren: Lindsey Davis
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zurückliegenden gemeinsamen Armeezeit stammte, nun nur noch direkt unter dem Provinzstatthalter stand. Da der Prokurator Vespasian persönlich kannte, fungierte der liebe Gaius (wie dem Statthalter durchaus bewusst sein würde) als Augen und Ohren des Kaisers, um zu bewerten, wie der neue Statthalter die Provinz führte.
    Mich musste er nicht bewerten. Das hatte er vor fünf Jahren getan, als er mich kennen lernte. Ich glaube, ich hatte ganz gut abgeschnitten. Ich wollte gut abschneiden. Das war sogar noch bevor ich mich in die elegante, gewitzte, überlegene Nichte seiner Frau verknallte. Als Einziger im Imperium hatte Hilaris schon immer gemeint, dass sich Helena mit mir zusammentun würde. Wie dem auch sei, er und seine Frau hatten mich jetzt als einen angeheirateten Neffen empfangen, so, als sei das vollkommen natürlich und sogar eine Freude.
    Hilaris sah wie ein ruhiger, leicht verstaubter, unschuldiger Bürohengst aus, aber ich hätte nicht mit ihm gewürfelt – zumindest, wenn ich nicht mit den gezinkten Würfeln meines Bruders Festus spielen konnte. Hilaris ging mit der Situation auf seine übliche Art um: neugierig, gründlich und unerwartet energisch. »Hier haben wir einen Briten, der von der römischen Zivilisation nicht sonderlich profitiert hat«, hatte er gesagt, als ihm die Leiche gezeigt wurde. Das war der Moment, als er trocken hinzufügte: »Hängt allerdings wohl davon ab, was wir unter Zivilisation verstehen.«
    »Er hat Wasser mit seinem Wein geschluckt, meinst du?« Ich grinste.
    »Lieber nicht scherzen.« Hilaris war nicht prüde, und es war kein Tadel.
    Er war ein schlanker, gepflegter Mann, nach wie vor aktiv und wach – allerdings grauer und hagerer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er hatte immer schon den Eindruck gemacht, von schwacher Gesundheit zu sein. Seine Frau Aelia Camilla wirkte seit meinem letzten Besuch wenig verändert, und ich war froh, meine Frau und das Jungvolk zu ihnen mitgebracht zu haben.
    Bemüht, nicht zu zeigen, dass ich ihn beobachtete, entschied ich, dass er den Toten zu seinen Füßen kannte. Als Berufsdiplomat würde ihm klar sein, warum dieser Tod uns Probleme machen würde. Aber bisher erwähnte er mir gegenüber seine Kenntnis nicht.
    Das war interessant.

II
     
     
     
    »Tut mir Leid, Sie hierher gerufen zu haben, Prokurator«, murmelte der Zenturio. Er schien zu wünschen, den Mund gehalten zu haben. Offenbar rechnete er sich aus, auf wie viel zusätzliche Berichterstattung er sich eingelassen hatte, und erkannte verspätet, dass sein Kommandeur ihm den Hades heiß machen würde, weil er die Zivilbehörden eingeschaltet hatte.
    »Sie haben das Richtige getan.« Ich hatte Hilaris nie Schwierigkeiten ausweichen sehen. Seltsam, sich vorzustellen, dass dieser Mann in der Armee gedient hatte (Zweite Augusta, meine eigene Legion, zwanzig Jahre vor mir). Er war auch Teil der Invasionstruppen gewesen, zu einer Zeit des pragmatischen Umgangs mit den Einheimischen. Aber drei Jahrzehnte der Bürokratie hatten ihn in dieses seltene, erfolgreiche Wunder verwandelt, einen Beamten im öffentlichen Dienst, der sich an die Vorschriften hielt. Und was noch seltener war, statt hier draußen zu versauern, hatte er die Kunst gemeistert, die Vorschriften funktionieren zu lassen. Hilaris war gut. Das sagte jeder.
    Im Gegensatz dazu überdeckte der Zenturio seine Unbeholfenheit durch langsame Bewegungen, wenig Äußerungen und noch weniger Taten. Er war breit gebaut und hatte einen kurzen Hals. Die Füße hielt er weit gespreizt, seine Arme hingen locker herab. Sein Halstuch war mit gerade genug Lässigkeit in seine Rüstung gestopft, um Verachtung für Autorität zu demonstrieren, doch seine Stiefel waren poliert, und sein Schwert und sein Dolch sahen scharf aus. Er war der Typ, der herumsitzen, seine Waffen zwanghaft schleifen und über höhere Offiziere nörgeln würde. Ich bezweifelte, dass er über den Kaiser nörgelte. Vespasian war ein Soldatengeneral.
    Vespasian würde wissen, dass die Armee voll mit solchen Gestalten war: nicht so gut, wie ihre Vorgesetzen es sich gewünscht hätten, aber brauchbar genug, um in einer fernen Provinz durchzuhalten, wo es an den Grenzen ruhig und offene Rebellion kein Thema mehr war. Die Legionen in Britannien waren keine Schaumschläger. Bei einer echten Krise ließ sich aus diesem Zenturio etwas machen.
    Dies hier war eine Krise. Das hatte der Zenturio zu Recht gespürt. Und um gerecht zu sein, er hatte richtig reagiert. Er hatte den
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