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Mord im Spiegel

Mord im Spiegel

Titel: Mord im Spiegel
Autoren: Agatha Christie
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Pause folgte.
    »Was wolltest du dort?«, fragte Mrs Bantry neugierig.
    »Es mir nur mal ansehen. Wie die Leute dort sind.«
    »Und wie sind sie?«
    »Wie überall anders auch. Ich weiß nicht genau, ob es mich enttäuschte oder tröstete.«
    »Es hat dich enttäuscht, nehme ich an.«
    »Nein, eher das Gegenteil. Man lernt gewisse Typen zu unterscheiden… ich meine, wenn etwas passiert… dann versteht man besser, warum und weshalb.«
    »Denkst du an Mord?«
    Miss Marple war entsetzt. »Ich begreife nicht, warum du glaubst, dass ich immer nur an Morde und Mörder denke.«
    »Unsinn, Jane. Warum gibst du es nicht offen zu, nennst dich Kriminologin und damit fertig.«
    »Weil ich das nicht bin«, erklärte Miss Marple entschieden. »Ich habe einfach ein gewisses Verständnis für die menschliche Natur, was nur natürlich ist, wenn man so lange in einem kleinen Ort gelebt hat wie ich.«
    »Da könnte was dran sein«, antwortete Mrs Bantry nachdenklich. »Obwohl die meisten Leute dir sicherlich nicht zustimmen würden. Dein Neffe Raymond hat immer gesagt, dass wir in der tiefsten Provinz leben.«
    »Der gute Raymond«, sagte Miss Marple nachsichtig. Und fügte hinzu: »Er ist immer so reizend zu mir. Weißt du, dass er Miss Knight bezahlt?« Bei dem Gedanken an Miss Knight hatte sie es plötzlich eilig. Sie erhob sich und sagte: »Ich mache mich jetzt besser auf den Weg.«
    »Du bist doch nicht zu Fuß gekommen?«
    »Natürlich nicht. Ich bin mit Inch gefahren.«
    Diese etwas rätselhaft klingende Äußerung wurde von Mrs Bantry durchaus verstanden. In längst vergangenen Tagen war Mr Inch der Besitzer zweier Fahrzeuge gewesen, die am Bahnhof auf ankommende Fahrgäste warteten oder von den Damen des Ortes gemietet wurden, wenn sie zu einer Teegesellschaft eingeladen waren oder mit ihren Töchtern zu einem so frivolen Unternehmen wie einer Tanzveranstaltung fuhren, was nicht sehr häufig geschah. Als die Zeit gekommen war, machte Inch, ein fröhlicher rotgesichtiger Mann von über siebzig, seinem Sohn Platz, der allgemein »der junge Inch«, hieß, obwohl er da schon fünfundvierzig war. Allerdings fuhr der alte Inch weiter jene älteren Damen umher, die seinen Sohn für zu jung und leichtsinnig hielten. Um mit den Anforderungen der Zeit Schritt zu halten, vertauschte der junge Inch die Kutschen gegen Motorfahrzeuge. Er war jedoch kein besonders guter Mechaniker, und bald übernahm ein gewisser Mr Bardwell das Geschäft. Doch der Name Inch blieb. Mr Bardwell verkaufte an Mr Roberts, doch im Telefonbuch stand weiter als offizieller Name Inchs Taxidienst, und die alten Damen des Ortes fuhren »mit Inch«, wenn sie eine Taxifahrt unternahmen.
    »Doktor Haydock hat angerufen«, sagte Miss Knight vorwurfsvoll. »Ich erklärte ihm, Sie seien bei Mrs Bantry zum Tee. Er ruft morgen wieder an.«
    Sie half Miss Marple aus ihren Hüllen.
    »Und nun sind wir völlig erschöpft«, bemerkte sie vorwurfsvoll.
    »Sie vielleicht«, antwortete Miss Marple. » Ich nicht.«
    »Kommen Sie, und machen Sie es sich vor dem Kamin gemütlich«, sagte Miss Knight, die wie gewöhnlich nicht genau hinhörte. (»Es ist ziemlich unwichtig, was die guten alten Leutchen erzählen. Man muss sie nur ein bisschen aufmuntern«, pflegte Miss Knight zu sagen.) »Und wie würde uns ein hübsches kleines Glas Ovomaltine schmecken?«, fragte sie.
    Miss Marple lehnte dankend ab und erklärte, dass sie ein Gläschen trockenen Sherry vorziehen würde. Miss Knight sah missbilligend drein.
    »Ich weiß nicht, was der Doktor davon halten würde«, sagte sie, als sie mit dem Glas zurückkehrte.
    »Wir werden ihn morgen ausdrücklich danach fragen«, antwortete Miss Marple.
     
    Am nächsten Vormittag ließ Miss Knight Doktor Haydock herein und flüsterte im Flur aufgeregt mit ihm. Der alte Mann trat ins Zimmer und rieb sich die Hände, denn es war ein kühler Tag.
    »Unser Doktor ist da, um Sie zu besuchen«, verkündete Miss Knight fröhlich. »Darf ich Ihnen die Handschuhe abnehmen, Doktor?«
    »Lassen Sie nur«, sagte Haydock und warf die Handschuhe achtlos auf ein Tischchen. »Ganz hübsch kühl heute.«
    »Möchten Sie vielleicht ein kleines Glas Sherry?«, fragte Miss Marple. »Wie ich gehört habe, trinken Sie gern einen Schluck. Na ja, jedenfalls sollten Sie es nie allein tun.«
    Karaffe und Gläser standen bereits neben Miss Marple auf einem kleinen Tisch. Miss Knight verließ das Zimmer.
    Doktor Haydock war ein guter alter Freund Miss Marples. Eigentlich
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