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Mord an der Mauer

Mord an der Mauer

Titel: Mord an der Mauer
Autoren: L Keil
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hat. Sie kennt seinen Namen natürlich nicht, es handelt sich um Siegfried Buske. Der ältere der beiden Uniformierten dagegen liegt noch in Deckung, obwohl schon nicht mehr geschossen wird. Renate Pietsch und Wolf-Dieter Zupke bleiben stehen, wenige Meter ostwärts der Straßensperre, und beobachten das Drama, das sich vor ihren Augen abspielt. Peter Fechter hat nach dem ersten Schock angefangen zu rufen: »So helft mir doch, helft mir doch!« Pietsch und Zupke fahren die Grenzposten an: »So helft ihm doch – ihr Schweine.«
    Auf West-Berliner Seite reagiert der Polizeiposten an der Lindenstraße sofort, als die ersten Schüsse fallen, und alarmiert per Telefon die Einsatzzentrale des Präsidiums. Dort nimmt der diensthabende Beamte um 14:12 Uhr die Meldung auf und schickt drei Funkstreifenwagen los. Innerhalb von drei Minuten sind sie an Ort und Stelle. Die Grundstücke gegenüber der Ruine Zimmerstraße Nr. 72–74 sind abgeräumt. Nur zwei kleine Podeste stehen dort, von denen aus man über die Mauer hinweg nach Ost-Berlin schauen kann; ansonsten wächst hier nur Gras. Jetzt allerdings sammeln sich auf dem Areal rasch West-Berliner, die wissen wollen, was genau geschehen ist. Aus der Druckerei des Axel Springer Verlags eilt der Betriebsarzt herüber. Dr. Willi Weitze hat Verbandszeug aus seinem Erste-Hilfe-Kasten bei sich.

    Zur selben Zeit befindet sich bereits der junge Fotoreporter Wolfgang Bera vor Ort. Er hat die Schüsse gehört, als er auf dem Weg in die Bild -Redaktion ist, um belichtete Filme abzugeben. Sofort rennt er die kaum 100 Meter herüber. Mehrfach springt er hoch, um über die Betonplatten einen Blick in die Sperrzone zu erhaschen, aber er kann kaum etwas sehen. Bera will schon aufgeben, als er auf einmal eine Bewegung auf Ost-Berliner Seite bemerkt. Im vierten Stock im Haus Zimmerstraße Nr. 70 steht eine alte Frau am Fenster. Sie zeigt auf eine Stelle hinter der Mauer. Bera versteht sofort: »Da muss einer liegen.« Er läuft hin und klettert an der Mauer hoch, dann sieht er: »Ein junger Mann, direkt unter mir.« Der Fotograf reagiert instinktiv und drückt auf den Auslöser.
    Gegen 14:15 Uhr treffen Polizeimeister Harry Bergau und sein Kollege mit dem ersten Funkstreifenwagen des Einsatzkommandos Kreuzberg ein, einem VW Käfer. Sie sehen auf West-Berliner Seite Dutzende ziemlich aufgeregte Menschen und Bera, der sich von westlicher Seite an die Mauerkrone klammert. Schnell erfahren die Polizisten, unmittelbar hinter der Mauer liege auf Ost-Berliner Seite ein Flüchtling, offenbar schwer verletzt. Bergau zögert nicht lange, geht vor zur Mauer, die drei Meter hinter der offiziellen Sektorengrenze auf Ost-Berliner Gebiet steht, und hangelt sich neben dem blonden Reporter an der grob gefügten Sperre hoch. Eigentlich ist das ein schwerer Verstoß gegen eine ständig geltende Dienstanweisung. West-Berliner Polizisten haben, zumal in Uniform, den strikten Befehl, auf keinen Fall die Demarkationslinie zu überschreiten – denn die DDR-Posten sehen darin immer und sofort einen Angriff auf die Souveränität der SED-Diktatur. Doch darum schert sich Bergau in diesem Moment nicht: Er will wissen, was sich wirklich hinter der Mauer abspielt.
    Als er seinen Kopf unter der Stacheldrahtkrone hindurchzwängen kann, sieht er einen jungen Mann auf dem Rücken direkt an der Mauer liegen. Er trägt eine dunkle Bauarbeitermontur und keine Schuhe, ein Strumpf ist ihm halb vom Fuß gerutscht. Unter seinem Körper breitet sich eine Blutlache aus. Der Polizeimeister hört, dass der Verletzte etwas zu sagen versucht, kann ihn aber nicht verstehen. Bergau lässt sich von seinen Kollegen aus dem Funkstreifenwagen ein paar Verbandspäckchen reichen, die er über die Mauer wirft, auch Dr. Weitze gibt ihm Mullbinden. Doch Peter Fechter ist zu schwach, um damit etwas anfangen zu können. Er kann sich gerade noch auf seine rechte Seite drehen. Irgendein Reporter reicht dem Polizeimeister einen Fotoapparat und bittet ihn, eine Aufnahme zu machen. Bergau drückt auf den Auslöser und reicht die Kamera zurück. Neben ihm haben zwei weitere West-Berliner Polizisten die Mauer erklommen. Einer von ihnen hört, wie das Opfer unter großen Schmerzen mitteilt, einen Bauch- und zwei Rückenschüsse erlitten zu haben. Genauso muss er seine Verletzung fühlen, auch wenn nur eine einzige Kugel sie verursacht hat.
    Auf West-Berliner Seite hat Herbert Ernst ebenfalls die Schüsse gehört. Der junge Kameramann, der als freier
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