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Mord an der Mauer

Mord an der Mauer

Titel: Mord an der Mauer
Autoren: L Keil
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Mitarbeiter der Agentur German Television News für die westdeutsche Kino- Wochenschau aus Berlin berichtet, hat gerade in einem Fachgeschäft in der Friedrichstraße ein neues Objektiv kaufen wollen. Augenblicklich greift er sich seine Filmkamera, die der 22-Jährige stets mit frischem Material gefüllt bei sich trägt, und läuft hinüber zur Mauer. Er sieht Uniformierte und Zivilisten direkt an der Demarkationslinie stehen, weiß aber nicht, was vor sich geht; trotzdem filmt Ernst die Situation. Vorn an der Mauer erkennt er seinen Bekannten Wolfgang Bera, der unter dem Stacheldraht hindurch fotografiert.
    Der rennt, kaum dass er seine Bilder gemacht hat, los, Richtung Friedrichstraße zum Checkpoint Charlie, wo US-Militärpolizisten Tag und Nacht Dienst schieben. Bera ist sich sicher, nur sie können dem Verletzten helfen, denn Ost-Berliner Grenzer und Volkspolizisten dürfen US-Soldaten in Uniform weder kontrollieren noch aufhalten. Das liegt am besonderen Status der Vier-Mächte-Stadt: Nur Angehörige der Roten Armee haben das Recht, Vertreter der anderen drei Siegermächte des Zweiten Weltkriegs zu überprüfen. Der Fotograf hofft, dass die GIs helfen werden, wird jedoch enttäuscht: Der diensthabende Sergeant hat bereits mit seinem vorgesetzten Offizier telefoniert und eine klare Anweisung bekommen. Seine Männer und er sollen sich heraushalten, ganz gleich was an der Zimmerstraße geschehen ist. Den Militärpolizisten gefällt das zwar nicht, gegen den Befehl dürfen sie aber nicht verstoßen. Also fertigen sie den Reporter hart und kalt ab: Das sei nicht ihre Sache. Wolfgang Bera wendet sich enttäuscht ab und läuft zurück zur Bild -Redaktion. Ein Teleobjektiv will er holen für seine Kamera – und eine Leiter. Er spürt, dass die Situation noch nicht vorüber ist, und möchte gewappnet sein.
    Auf Ost-Berliner Seite hat Feldwebel Schönert inzwischen seinen Vorgesetzten informiert. Grenzer müssen jeden Fluchtversuch umgehend melden. Auf dem vorgesehenen Dienstweg erfährt Hauptmann Heinz Schäfer, zu diesem Zeitpunkt als stellvertretender Kommandeur der IV. Grenzabteilung direkter Vorgesetzter der beiden Doppelposten an der Charlotten- und der Markgrafenstraße, ein »Grenzverletzer«, wie es im Jargon der Grenztruppen heißt, sei »unter Anwendung der Schusswaffe gestellt« worden. Die Person liege jetzt im Sperrgebiet, offensichtlich verletzt. Über die Schwere der Verwundung gibt die Meldung keinen Aufschluss. Schäfer, der in der Kaserne in Rummelsburg Dienst hat, befiehlt dem Zugführer, den Verletzten sofort zu bergen. Oberleutnant Martin Leistner verweigert dies allerdings. Nach den Schüssen hat er sich von einem Beobachtungsstand in der Hausruine Zimmerstraße Nr. 72–74 aus ein Bild gemacht. Durch die enge Schießscharte kann er zwar nicht viel sehen, aber er glaubt, auf West-Berliner Seite sechs bis acht Polizisten mit Gewehren im Anschlag ausgemacht zu haben. Die Uniformierten hätten ihm zugerufen, sie würden auf DDR-Grenzer schießen, sollten sie den Verletzten bergen wollen.
    Schäfer nimmt seinem Untergebenen diese Darstellung ab. Dabei handelt es sich um eine reine Schutzbehauptung: Kein anderer Zeuge, weder auf West- noch auf Ost-Berliner Seite, hat auch nur etwas annähernd Ähnliches gehört. Im Gegenteil, mehrere westliche Beamte, darunter Harry Bergau, und einige Zivilisten fordern die DDR-Grenzer auf, dem Schwerverletzten an der Mauer doch endlich zu helfen. Auch stehen nicht sechs bis acht Polizisten mit Gewehren im Anschlag auf einem Podest – ohnehin passen auf die einfache Holzkonstruktion nur maximal vier Personen. Zwar halten sich auf der Freifläche vor der Mauer inzwischen einige Bereitschaftspolizisten auf, die Karabiner in den Händen, aber nicht im Anschlag, sondern nur auf Hüfthöhe haltend, und sie stehen rund 20 Meter weg von der Mauer, die ihnen den Blick versperrt. Gezielt schießen kann man so kaum. Die Uniformierten wollen DDR-Grenzer lediglich von Schüssen auf West-Berliner Gebiet abhalten. Doch Schäfer hat die Hasspropaganda der SED gegen die »Frontstadtpolizei« derartig verinnerlicht, dass er seinem Oberleutnant glaubt. Sofort ruft er nach seinem Fahrer, zehn Kilometer trennen Schäfer vom Ort des Geschehens. Er will die Lage selbst prüfen und dann entscheiden, was zu tun ist. Auf schnellstem Weg lässt er sich mit seinem Geländewagen vom sowjetischen Typ GAZ-69 in die Innenstadt fahren.
    Der Volkspolizist Heinrich Mularczyk wird ebenfalls über
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