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Moral in Zeiten der Krise

Moral in Zeiten der Krise

Titel: Moral in Zeiten der Krise
Autoren: Horst-Eberhard Richter
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nahegelegt habe, angesichts der Bevölkerungsexplosion die Stellungnahme der Kirche zur Geburtenregelung zu überdenken. Und er werde mit dem Papst sicher noch ein drittes Mal sprechen.
    Angefangen hatten wir vor zwei Stunden ganz unten, bei Schmidts Wunsch nach mehr Sympathie. Warum lieben die Leute Willy Brandt? Warum verstehen sie mich nicht besser? Aber entzieht er sich ihnen nicht selbst, wenn er die Friedensbewegten Verachtung statt Anteilnahme spüren lässt? Und wenn er – was ich übergangen habe – die Umweltängste der Grünen töricht findet? Nun sind wir ganz oben angekommen bei ihm, dem selbsternannten »Obergutachter«, der sie alle seinem Urteil unterwirft, sein Kabinett, die politischen und geistigen Führer der Welt bis hin zu Luther und Papst. Nur Kant bleibt stehen als überragende intellektuelle und moralische Instanz.
    Ich spüre Schmidts Einsamkeit. Er möchte dichter an die Menschen heran, zumal da er seine baldige Abwahl voraussieht. Er erntet meine Hochachtung, aber nötigt sie mir ein wenig zu massiv ab. Ich bewundere seinen Scharfsinn, zugleich graut mir vor seiner Entscheidung, das atomare Wettrüsten mit amerikanischen Pershing-Raketen von der Bundesrepublik aus zu forcieren. Später wird er an der Einbildung festhalten, die von ihm veranlasste Bedrohung Moskaus mit den aus Amerika herbeigeholten Pershings habe den Kalten Krieg entschieden. Er wird nicht gelten lassen, dass es in Wahrheit Gorbatschow ist, der seit 1985 mit der Entstalinisierung, der Freigabe der Blockpartner und mit seinen unermüdlichen Friedensbemühungen schließlich den Eisernen Vorhang überwindet. Wie sich herausstellt, wäre es den Russen ein Leichtes gewesen, mit unverzüglich in der DDR aufgestellten Kurzstrecken-Raketen die Pershings in der Bundesrepublik auszuschalten, bevor diese nach Moskau hätten starten können. Das kann man bei Egon Bahr nachlesen. Nicht Schmidt, sondern Gorbatschow heißt der Friedensstifter.
    Doch noch einmal zu unserem Gespräch. Ein Mächtiger ersehnt Verständnis und Sympathie für sein Inneres. Aber er wagt sich mit diesem Inneren kaum hervor, erläutert mir stattdessen, dass er hundertmal verdient, was er ersehnt. Dann sieht es so aus, als ob die anderen zuerst ihn bräuchten, nicht er sie. Ihn, der sicher zu sein vorgibt, die Dinge am besten zu verstehen und immer das Beste zu wollen. Aber stimmt das mit der Sicherheit? Warum bringen ihn Friedens- und grüne Bewegung gleich in Rage?
    Es war ja seine eigene Frage an mich, warum er den Leuten anders als Willy Brandt eher als der kalte Machererscheine, der er jedoch nicht sei. Und der ist er ja auch nicht. Er übt sein Amt mit Leidenschaft und mit großem Verantwortungsbewusstsein aus. Doch traut er eben weder in sich selbst noch bei den anderen der Sensibilität, der Friedfertigkeit und der Versöhnlichkeit die nötige Energie für politische Verständigung zu. Deshalb hat sich damals die Partei zwischen Schmidt und Brandt gespalten. Dennoch hat sie auch von dem Ergänzungsverhältnis der Eigenschaften beider profitiert, von dem strategischen Rechner wie dem Politiker der »Compassion«. Keine der beiden Begabungen ist entbehrlich. Doch lässt sich mehr Zuversicht aus dem Glauben schöpfen, nicht die US -Raketen-Überlegenheit, sondern der beidseitige Aussöhnungswille habe den Kalten Krieg entschieden. Sonst bleibt Argwohn ewiger Antrieb weiteren Aufrüstens.
    Die Amerikaner dagegen werden später auf der »Totrüstungstheorie« beharren. Und Schmidt wird die Bedrohung Moskaus mit den von ihm in die Bundesrepublik geholten Pershing-Raketen für entscheidend erklären. Aber wollen wir es in Zukunft weiter auf atomare Erpressung ankommen lassen? Oder trauen wir uns zu, radikal umzulernen? Ein Zeuge des Gespräches mit dem Kanzler geleitet mich aus dem Kanzler-Bungalow hinaus. Ein solcher eingehender Austausch habe dem Kanzler gewiss wohlgetan, meint er. Denn sonst sei es recht einsam um ihn in seinem Bungalow. So phantasiere ich ihn auch: Vor sich das Land und die Welt wie auf einem Schachbrett, den nächsten Zug exakt berechnend, etwa um Breshnew mit den Pershing-Raketen matt zu setzen.

Mehr Weiblichkeit ist mehr Menschlichkeit
    Noch 1930 warnte Freud die Männer davor, sich zu viel Energie von den Frauen entziehen zu lassen, die sie selbst für ihre Arbeit am Kulturfortschritt benötigten, während die zum Sublimieren weniger begabten Frauen für Familie und Sexualleben zuständig blieben. Heute erkennen wir die Frauen nicht
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