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Moral in Zeiten der Krise

Moral in Zeiten der Krise

Titel: Moral in Zeiten der Krise
Autoren: Horst-Eberhard Richter
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die Kinder im Widerstehen zu unterstützen und die Eltern von der Übertragung ihrer eigenen Probleme auf die Kinder abzuhalten. Diese Freiheit brauchen die Kinder. Aber wie sollen ihnen Eltern und Lehrer eine Freiheit ermöglichen, die sie selbst nicht erkämpfen konnten oder wollten?
    Viele Kinder brauchen Nachhilfe in Mathematik. Aber viele Eltern bräuchten Nachhilfe in Erziehung oder in nachzuholender Selbsterziehung. Dazu bedürfte es allerdings einer Gesellschaft, die nicht nur auf das Machen und das Verhalten schaut, sondern ernst nimmt, was sich im eigenen und im gemeinsamen Innern abspielt.Das fängt bei der Erziehung an und sollte sich in der Arbeitswelt fortsetzen. Dass die Flexibilität ein Machtwort des Zeitgeistes geworden ist, folgt aus einer Entseelung der Gesellschaft, die ihr Innenleben am liebsten wie ein neuronales Netzwerk elektronisch beherrschen würde.

Ist die Welt reif für Obamas Ideen?
    Zwei Probleme versagen Obama die Erlöserrolle, die viele ihm vorzeitig zugeteilt haben. Er erbt in Afghanistan einen Krieg, den er nicht militärisch gewinnen kann. Und auch mit noch so energischen Interventionen wird er die Zocker-Mentalität auf den Finanzmärkten nur eindämmen, nicht aber besiegen können. Die Frage ist, ob er genügend Unterstützung für seinen moralischen Aufbruch findet, nämlich konsequent überall dort Versöhnung anzustreben, wo die Welt friedlos gespalten ist. Die Amerikaner haben mit Obamas Wahl einen großen Schritt zur Überwindung von Rassenfeindschaft getan. Werden sie das Versprechen durchhalten, das sie sich damit vor aller Welt selbst gegeben haben?
    Schon ein Jahr nach der Wahl sieht alles ganz anders aus. Die Obama-Poster sind verschwunden. Die Beliebtheit des Präsidenten ist dramatisch abgesunken. Katerstimmung hat sich breitgemacht. Der US -Wirtschaft geht es schlecht. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Obama macht Kompromisse. Wo bleibt die Durchsetzungskraft, die man ihm zugetraut hat? Es ist ein Phänomen, das ich ähnlich bei Brandt und Gorbatschow beschrieben habe. Ein Friedenspolitiker ergreift die Seelen mit seinem Glauben an eine humanere Welt. Leicht wird dann sein Engagement mit der Kraft verwechselt, seine Ideen durchzusetzen. Feinfühlige Sensibilität geht schon ihrem Wesen nach nicht leicht mit der Robustheit eines Tatmenschen zusammen. Für die Härte des Politgeschäftes braucht ein seiner Natur nach eher sanfter Charismatiker stets besonderen Rückhalt in seiner Führungsmannschaft. Steht er allein da, siehtman ihn zögern und Kompromisse schließen. Und schon verwandeln sich glühende Verehrer in gnadenlose Kritiker, darunter nicht wenige, die sich die eigene Desillusionierung durch Hass erträglicher machen. Eben noch verzaubert, werden sie nun zu Wortführern der vermeintlich Verratenen und Betrogenen.
    Aber Obama ist zäh. Und er kämpft. Mit dem Vorhaben einer großen Gesundheitsreform stellt er sich selbst auf die Probe. Mit ihr verbindet er sein politisches Schicksal. Am 23. 3. 2010 erringt er mit 219 gegen 211 Stimmen eine knappe Mehrheit im Kongress. Es ist ein historischer Sieg, ein Jahrhunderterfolg. 30 Millionen Amerikaner bekommen Versicherungsschutz. Es ist eine wichtige sozialpolitische Errungenschaft, die innenpolitisch seiner außenpolitischen Linie der Versöhnlichkeit folgt. Wie inszeniert, kann Obama drei Tage später, am 26. 3., schon wieder einen Triumph feiern. Seine Abrüstungsverhandlungen mit Russlands Präsident Medwedjew erzielen einen Durchbruch. Beide Seiten reduzieren ihre Trägersysteme auf je 800 und ihre atomaren Sprengköpfe von 2200 auf 1550. Die USA verpflichten sich, keine neuen Sprengköpfe mehr zu entwickeln. Das ist noch nicht großartig, doch ein erster wichtiger Schritt in Richtung Vertrauen. Leicht wird dabei vergessen, dass das Risiko solcher Versöhnlichkeit ja eher in der Unzuverlässigkeit der eigenen Bevölkerung liegt, die in einer gespaltenen Welt leichter zusammenhält als in einer versöhnten. Gorbatschow musste gehen, als er dem Frieden die Herrschaft über das Sowjetreich opferte. Und die Amerikaner schickten ihren Präsidenten Carter fort, als dieser sich militärisch in Teheran blamierte. In den USA warten viele Republikaner bereits auf eine Schlappe Obamas in Afghanistan, um ihre traditionelle nationale Vorherrschaft zu restabilisieren.
    Aber könnte das anders sein in einer selbstgerechten Nation, deren Zusammenhalt eben noch ein George W. Bush durch einen Weltfeind, der kein solcher war,
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