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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Autoren: Milena Moser
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Milligramm Ritalin eingenommen hatte, spürte sie plötzlich etwas. Es war, als hätte sie einen glatten, runden Stein verschluckt. Ein unbekanntes Gewicht verankerte sie. Als hätte man einen Stapel dünner Blätter mit diesem Stein beschwert. Wenn ein starker Wind aufkam, konnte sie die Blätter an den Rändern rascheln hören. Aber es wehte nicht mehr beim leisesten Hauch der ganze Stapel davon.
    Poppy schaltete ihren Computer ein, um Frau Nussbaum zu berichten. In ihrem E-Mail-Programm erschien die gelbe Notiz, die sie täglich an sich selbst schickte. Jeden Abend kontrollierte sie ihre Liste, löschte, was sie erledigt hatte, und übertrug den Rest auf den nächsten Morgen. Die Liste wurde länger und länger. Sie war so detailliert, dass sie Punkte wie Kleider rauslegen (schwarze Hose) und Duschen enthielt. An diesem Tag stellte Poppy etwas Eigenartiges fest: Es war, als ob die einzelnen Punkte auf ihrer Liste in unterschiedlicher Schriftgröße geschrieben worden wären. Die wichtigeren Punkte traten stärker hervor, die unwesentlichen hielten sich im Hintergrund. So strömte nicht die ganze Masse dessen, was sie zu erledigen hatte, auf einmal auf sie ein, sondern eins nach dem andern. Und so schien es plötzlich möglich.
    Poppy verschlug es den Atem. War es das, was andere sahen? War es so einfach?
    Die Affen lassen sich bändigen, dachte sie. Sie lassen mit sich leben. Sie vergaß ihren Bericht an Frau Nussbaum und öffnete stattdessen ihren Blog. Nach kurzem Überlegen stellte sie ihre ganzen Abklärungsergebnisse ins Netz und schrieb dazu: Monkey Mind Reloaded. Stellt sich heraus, dass der Affengeist in seiner extremen Variante auch einen anderen Namen hat, einen wissenschaftlichen sogar.

 
    vi ś e ṣ adar ś ina ā thmabh ā vabh ā van ā niv ṛ tti ḥ
    Wenn man den Unterschied zwischen Geist
    und Bewusstsein einmal erkannt hat,
    verliert man das Bedürfnis nach Selbsterkenntnis.
    Patanjali Yoga Sutra 4 . 25

     
Nevada
     
    Umständlich zog sie ihre Schuhe aus und stellte sie in das Regal im Flur. Klirrend fiel ihr Stock zu Boden. Ted bückte sich danach.
    «Lass nur», sagte Nevada. Doch Ted ließ sich nicht davon abhalten, ihren Stock aufzuheben. Sie müsse versuchen, so lange wie möglich so unabhängig wie möglich zu bleiben, hatte ihr Professor Kaiser geraten. Das war nicht ganz einfach. Die wenigsten Menschen konnten zuschauen, wie sie sich mit ihrem Stock abmühte, ohne helfend einzugreifen. Es war ein altmodischer schwarzer Spazierstock aus Holz mit einem silbernen Knauf in Form eines Vogels. Einer Krähe, dachte Nevada, eine schwarze Vorbotin des Todes. Aber versilbert. Mit einer normalen Krücke käme sie besser zurecht. Aber sie wollte keine Krücke. Sie wollte einen Spazierstock, wie ihn Gesunde brauchten.
    Der Schub hatte Spuren hinterlassen. Ob sie bleiben würden, wusste niemand. Am wenigsten Nevada. Die Ameisen verhielten sich ruhig, und wenn sie in den Spiegel schaute, sah sie nur ein Gesicht. Ihres. Das war ihr für den Moment genug. Sie hatte auch gar keine Zeit, um endlos über sich nachzudenken. Sie unterrichtete schon wieder jeden Tag. Die Gruppen in der Gesundheitsoase waren klein und schnell ausgebucht. Nevada bot auch Einzelstunden an. Martha mahnte sie, sich nicht zu überarbeiten, und auch Professor Kaiser hatte ihr Ruhepausen verordnet. Nevada konnte ihn nicht Alphonse nennen, auch wenn er mehr und mehr Zeit in ihrem Haus verbrachte. Nevada ging weiterhin zu ihm in die Sprechstunde in der Uniklinik, sie konnte ihn nicht im Treppenhaus auf ihre Symptome ansprechen. Einmal hatte sie einen roten Abdruck an seinem Handgelenk gesehen, und sofort an Sierras eiserne Handschellen gedacht.
    «Ich bin nun mal am glücklichsten, wenn ich unterrichte», sagte sie. Außerdem verliefen ihre Stunden ganz anders als früher. Sie zeigte nichts vor. Sie hielt sich an den Grundsatz von Sri T Krishnamacharya: «Yoga muss dem Menschen dienen, nicht umgekehrt.» Sie beobachtete ihre Schülerinnen genauer als früher. Jede Einzelne von ihnen sollte die Stunde leichter verlassen, als sie gekommen war. Eines Tages fragte sie Sierra, warum nur Frauen in der Oase behandelt wurden: «Männer sind auch Menschen, Sierra!»
    «Das sagst gerade du!» Doch sie versprach, über Yogastunden für Männer nachzudenken. Doch bevor Sierra zu einem Schluss gekommen war, rief Ted an und fragte Nevada, ob sie bereit wäre, in der Siedlung, in der er wohnte und die Unterstufe unterrichtete, Yogastunden
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