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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Autoren: Milena Moser
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Fußballspiel.
    «Du kannst hier nicht einfach so reinplatzen und etwas ansprechen, von dem du keine Ahnung hast!», sagte Peter. Er folgte Florian ins Wohnzimmer. Julia lauschte einen Augenblick mit schiefgelegtem Kopf. Der Kommentar wurde lauter.
    Ich habe wieder einmal alles falsch gemacht, dachte Poppy. Doch dieser Gedanke schien seinen Schrecken verloren zu haben. Er ließ sich nicht einmal festhalten. Schon wurde er vom nächsten weggeschoben.
    «Was ist hier eigentlich los?», fragte Poppy.
    «Lukas hat eine Verwarnung von der Schule bekommen», sagte Julia. «Wir wurden zum Gespräch bestellt. Stellt sich heraus, dass er seit Wochen den Unterricht schwänzt. Er sei nicht mehr tragbar im regulären Schulbetrieb, hieß es. Wir wollten es dir nicht sagen. In deiner Situation …»
    «Situation oder nicht, ich bin seine Mutter», sagte sie. «Und Peter hat recht. Es geht nicht an, dass ich keine Ahnung habe. Das muss sich ändern.»
    «Jetzt plötzlich», murmelte Julia.
    Die Haie umkreisen das Boot, dachte Poppy. Aber sie ruderte unbeirrt weiter. «Ja, jetzt plötzlich», sagte sie. Jetzt plötzlich dachte sie, dass ihre Meinung auch etwas gelten konnte. Schließlich war sie nicht verrückt (oder faul, oder dumm).
    Sie klopfte an Lukas’ Tür, bis er missmutig aufschloss. Eine Weile saßen sie nebeneinander auf seinem Bett, schweigend, Poppy wusste nicht, was sie sagen sollte. Schließlich begann er zu reden. Er hasste die Schule, seine Klassenlehrerin, überhaupt sein Leben. Er wollte Comiczeichner werden. Dafür brauchte man keine Matur. Alle waren gegen ihn. Keiner verstand ihn.
    Poppy nickte. Das kannte sie alles.
    «Was machst du den ganzen Tag?», fragte sie. «Wenn du nicht zur Schule gehst?»
    «Ich will ja hin», sagte er verzweifelt. «Das glaubt mir ja keiner. Jeden Tag geh ich bis an die Straßenecke, aber wenn ich das Schulhaus nur sehe, wird mir schlecht!»
    Poppy nickte. Das kannte sie auch. «So geht das natürlich nicht», sagte sie. «Da muss etwas passieren!» Nur was? Ein bisschen Unterstützung, hatte Frau Nussbaum gesagt.
    Ich wollte nur dein Bestes, ihr Vater. Was hätte sie damals gebraucht? Was konnte sie für ihren Sohn tun? Lukas wollte sich nicht abklären lassen. Die Vorstellung, dass er einen Schaden hatte, wie er es nannte, kränkte ihn zutiefst. Auch das konnte Poppy verstehen. Doch sie musste etwas tun. Sie war seine Mutter. Und zum ersten Mal, seit er klein war, sah Lukas sie an, als erwarte er etwas von ihr.
    Ein paar Tage später, als Poppy sich durch die Angebote diverser Privatschulen klickte und immer wieder an der Tatsache scheiterte, dass Privatschulen Geld kosteten, dachte sie plötzlich: Es gibt keinen Grund, so zu leiden. Das hatte der Gefängnispsychiater gesagt, und Frau Nussbaum hatte es bestätigt. Poppy wollte es wissen. Sie rief Frau Nussbaum an und sagte: «Ich will es probieren. Mit den Tabletten.»
    Auch das ging nicht so schnell, wie sie gehofft hatte. Erst musste sie sich von ihrem Hausarzt untersuchen lassen. Weil sie keinen Hausarzt hatte, rief sie Marie an. Marie hatte ihr eine E-Mail geschickt, die sie über Nevadas Yogastunden in der Gesundheitsoase für Frauen orientierte.
    «Kannst du mir einen Hausarzt in der Nähe empfehlen?»
    «Nein», sagte Marie. «Aber je nachdem, wie du versichert bist, kannst du zu mir kommen.»
    In der Siedlung, in der sich Maries Praxis befand, gab es auch eine Gesamtschule, Kindergarten bis zwölfte Klasse. Wegen des hohen Ausländeranteils und des Modellcharakters der Siedlung wurden ihr diverse Förderprogramme und neue Unterrichtsmethoden ermöglicht.
    «Sprich doch mal mit Ted», sagte Marie.
    «Ted?»
    Poppy bekam ein Rezept für Ritalin. Die Schachtel sah nach nichts aus. Sie zögerte, bevor sie sie öffnete. «Sprechen Sie besser mit niemandem darüber», hatte Frau Nussbaum gesagt. «Sie können sich nicht vorstellen, mit welchen Vorurteilen diese Behandlung behaftet ist!» Natürlich konnte Poppy sich das vorstellen: Sie hatte gegoogelt. Was sie in der Hand hielt, konnte die Lösung all ihrer Probleme sein, der Tod ihrer Persönlichkeit, das Medikament konnte sie zum Roboter machen oder süchtig. Sie zerteilte eine Tablette mit dem Küchenmesser und nahm, wie besprochen, erst nur eine Vierteldosis. Morgens und mittags. Jeden Abend erstattete sie Dr. Nussbaum Bericht. Sie merkte nichts. Nach zwei Wochen wurde die Dosis gesteigert, dann noch einmal. Und eines Tages, ungefähr eine Viertelstunde, nachdem sie zehn
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