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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz
Autoren: Sheri S. Tepper
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Notwendigkeit, sich eine unvoreingenommene Einstellung zu bewahren. Verschieden, aber deshalb nicht pervers. Das waren einige der Phrasen, auf die er konditioniert war. Dennoch wurde ihm beim Anblick der Schädel übel.
    Unvermittelt, ohne weiter darüber nachzudenken, ging er zum Schiff zurück, startete und ging wieder auf den ursprünglichen Kurs. Mit ein paar Tricks würde er den Anschein erwecken, als ob das Kind sich schon seit ein paar Tagen an Bord befunden hätte. Er würde ein paar Windeln im Laderaum verteilen. Er würde ein paar Nahrungs- und Wasserbehälter leeren. Nach dem Biergenuß mit dem Wachtposten konnte er sogar ein paar Pfützen erklären.
    Während er die fingierten Beweise verteilte, ging ihm wieder der von Molock eingeführte Ritus und seine Implikationen durch den Kopf: die neue Grausamkeit, der neue Fanatismus, der neue Schmerz. Hatte es etwas mit der Zunahme der Verfolgungen in Derbeck zu tun? Der höheren Sterberate in Enarae? Er rief sich weitere Veränderungen in Erinnerung, die hier und da, im Grunde überall beobachtet worden waren; keine von ihnen hatte indes eine Wende zum Besseren bedeutet, und alle hatten mit der Verehrung dieses oder jenes Gottes zu tun, der Verfolgung dieser oder jener Häresie, dem Zwang zu dieser oder jener Konformität.
    Als ob die Provinzen plötzlich in einen Blutrausch verfallen wären, sagte er sich. Nicht daß manche nicht auch früher schon so gewesen waren, doch in letzter Zeit hatte dieser Trend sich verstärkt. Und es wurde immer schlimmer. Als ob etwas… etwas sich veränderte, aber was? Der Status quo war unantastbar! Er und ein paar tausend wie er setzten ihn durch, bewahrten ihn, beschützten ihn. Was veränderte sich also?
    Nachdem der Gleiter in Toleranz gelandet war, schickte Zasper die Techniker von Bord, während er an den Kontrollen herumfummelte und unnötigerweise zum dritten Mal den Treibstoffverbrauch berechnete. Schließlich nahm er die Inventurunterlagen und öffnete betont laut die Frachtluke.
    Jeder auf dem Stellplatz hörte den überraschten Ruf, als er das Kind fand. Mitglieder des Wartungstrupps hörten ihn fluchen und sahen, wie er mit einem kleinen Jungen im Arm in der Luke stand und erzürnt in den Laderaum wies.
    Der Gruppenführer wollte wissen, wie er dort hineingekommen sei.
    Zasper stellte sich dumm. Er war über zwanzigmal zwischengelandet. Seit der dritten oder vierten Landung waren sie nicht mehr im Laderaum gewesen. Der Junge steckte vielleicht schon seit Tagen hier drin. Seht euch nur das ganze Verpackungsmaterial an, sagte Zasper. Riecht ihr denn nicht den Urin, wo der Junge hinter die Container und an die Wände des Laderaums gepinkelt hat? Und seht mal dort. Scheiße!
    Sowohl die flüssigen als auch die festen Exkremente stammten zwar von ihm, doch er glaubte nicht, daß jemand sich die Mühe machen würde, sie zu analysieren. Um die Tarnung aufrechtzuerhalten, schnaubte er in gespielter Wut.
    »Liebes Kind«, sagte ein weibliches Besatzungsmitglied und griff nach ihm.
    Der Junge schlang die Arme um sie und legte den Kopf an ihre Schulter. Sie roch fast wie seine Mutter.
    »Wie heißt du, kleiner Mann?« fragte sie.
    »Ich heiße Danivon Luze«, sagte er mit klarer Stimme und sah sie unter langen Wimpern an, die einem Schilfsaum um einen himmelblauen See glichen. »Ich bin vier Jahre alt.«
    »Danivon. Das ist ein schöner Name. Weißt du, wo du wohnst?«
    »Hinter den sieben Bergen«, sagte er deutlich und ernsthaft. »Dort wohne ich.«
    Ein paar Besatzungsmitglieder lachten, worauf das Kind erst fragend dreinschaute und dann in Tränen ausbrach, während Zasper sich über die Klugheit der Eltern freute.
    »Das ist schon in Ordnung«, sagte die Frau und wischte dem Kind die Tränen weg. »Sie haben nicht über dich gelacht, Danny.«
    »Ich glaube, wir sollten das melden«, sagte der Gruppenführer zweifelnd.
    »O nein«, rief das weibliche Besatzungsmitglied. »Nein, Jerrod. He, tu das nicht. Mach das, und sie schicken ihn wer weiß wohin. Wir behalten ihn. Er ist so ein liebes Kind.«
    Zasper, der sich geflissentlich in den Hintergrund verzogen hatte, drehte sich um und sah, daß der Junge den Blick auf ihn gerichtet hatte. Die Nasenspitze des kleinen Jungen bog sich, als er sich an die Schulter der Frau schmiegte; dabei war sein Blick unablässig auf Zasper gerichtet.
    Und zu was für einem Menschen wirst du dich entwickeln, Danivon Luze? fragte Zasper sich, ohne zu ahnen, welche Bedeutung die Beantwortung
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