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Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Titel: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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höchstpersönlich eine Flasche Wasser aus einem Regal holen und bringt sie ihr.
    »Danke, Monsieur. Was schulde ich Ihnen?«
    »Vierzig Francs, Mademoiselle.«
    Sie zuckt zusammen, die Brigitte. Ich auch. Eine Flasche Wasser kostete damals zwei Francs, keine vierzig.
    »Ich habe gar nicht gewußt, daß Wasser hier so kostbar ist.«
    »Nicht das Wasser ist so kostbar, Mademoiselle, sondern die großen Stars.«
    Und das sagte er mit einem solchen Charme, mit einem solch unwiderstehlichen Lächeln, daß Brigitte Bardot leicht errötet, vierzig Francs hinlegt und geht.
    Ich kann's kaum fassen.
    »Na, Monsieur Ibrahim, Sie haben schon Chuzpe.«
    »Tja, nun, mein Kleiner, irgendwie muß ich doch all die Büchsen wieder reinkriegen, die du mir mopst.«
    An diesem Tag wurden wir Freunde.
    Klar, von da an hätte ich meine Büchsen woanders mitgehen lassen können, aber Monsieur Ibrahim hat mich schwören lassen:
    »Momo, wenn du schon klauen willst, dann nur bei mir.«
    Und in den folgenden Tagen verriet mir Monsieur Ibrahim Tausende von Tricks, meinem Vater, ohne daß er's merkt, das Geld aus der Tasche zu ziehen: Ihm wieder aufgebackenes altes Brot von gestern oder vorgestern aufzutischen; den Kaffee nach und nach mit Muckefuck zu vermischen; Teebeutel zweimal zu benutzen; seinen Beaujolais mit Wein zu drei Francs zu verlängern, und als krönenden Einfall, den allerbesten, den, der zeigte, daß Monsieur Ibrahim ein Meister in der Kunst war, die Welt an der Nase herumzuführen, die Pastete durch Hundefutter zu ersetzen.
    Dank des Eingreifens von Monsieur Ibrahim bekam die Welt der Erwachsenen Risse, sie war nicht mehr die gleiche glatte Mauer, gegen die ich stieß, durch einen Spalt hatte sich mir eine Hand entgegengestreckt.
    Wieder hatte ich zweihundert Francs gespart, wieder konnte ich mir beweisen, daß ich ein Mann war.
    Rue de Paradis, ich ging direkt zum Toreingang, in dem die neue Besitzerin meines Teddys stand. Ich brachte ihr eine Muschel mit, die man mir geschenkt hatte, eine echte Muschel aus dem Meer, aus dem echten Meer.
    Das Mädchen revanchierte sich mit einem Lächeln.
    In diesem Moment kam ein Mann wie eine aufgescheuchte Ratte aus dem Gang gestürzt, er rannte. Eine Dirne schrie ihm hinterher:
    »Haltet den Dieb! Meine Tasche! Haltet den Dieb!«
    Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, machte ich ein langes Bein. Der Dieb segelte ein paar Meter weiter zu Boden. Ich stürzte mich auf ihn.
    Der Dieb schaute zu mir hoch, sah, daß ich nur ein Kind war, grinste mich an, drauf und dran, mir den Hintern zu versohlen, aber da kam das Mädchen laut schreiend auf die Straße gerannt. Er rappelte sich hoch und machte sich aus dem Staub. Zum Glück hatte das Geschrei der Dirne mir die Muskeln ersetzt.
    Auf ihren hohen Absätzen schwankte sie auf mich zu. Ich gab ihr ihre Tasche zurück, überglücklich drückte sie sie an ihren üppigen Busen, der so gut zu brüllen verstand.
    »Vielen Dank, mein Kleiner. Kann ich etwas für dich tun? Willst du mit raufkommen?«
    Sie war alt. Mindestens dreißig. Aber, wie Monsieur Ibrahim immer sagte, darf man einer Frau ja nichts abschlagen.
    »Okay.«
    Und wir sind zusammen hoch. Die Besitzerin von meinem Teddy schien empört, daß ihre Kollegin mich ihr weggeschnappt hatte. Als wir an ihr vorbeigingen, flüsterte sie mir ins Ohr:
    »Komm morgen. Ich mach's dir auch umsonst.«
    Natürlich hab ich nicht bis morgen gewartet...
    Mein Leben mit meinem Vater wurde durch Monsieur Ibrahim und die Dirnen noch schwieriger. Hatte ich doch mit etwas Schrecklichem und Schwindelerregendem begonnen: Vergleiche anzustellen. Mir war immer kalt, wenn ich mit meinem Vater zusammen war. Mit Monsieur Ibrahim und den Dirnen war es wärmer, heller.
    Ich betrachtete den hohen und tiefen Bücherschrank, ein Erbstück, all diese Bücher, die angeblich die Quintessenz des menschlichen Geistes enthielten, Gesetzeskladden, den Scharfsinn der Philosophie, im Dunkeln schaute ich sie mir an - »Moses, mach die Fensterläden zu, das Licht schadet den Einbänden« -, dann schaute ich meinen Vater an, wie er in seinem Sessel las, abgekapselt durch den kreisrunden Schein einer Stehlampe, die wie ein gelbliches Bewußtsein über seinen Buchseiten stand. Er war in die Mauern seiner Gelehrtheit eingeschlossen, er schenkte mir nicht mehr Beachtung als einem Hund - er haßte Hunde -, er war nicht einmal versucht, mir einen Knochen seines Wissens zuzuwerfen. Machte ich auch nur das allerkleinste Geräusch...
    »Oh,
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