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Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Titel: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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den Ansichtskarten, das von den Touristen. Wir sind die Seine entlanggegangen, die einen ziemlich großen Bogen macht.
    »Schau mal, Momo, die Brücken, die Seine liebt sie, wie eine Frau, die in ihre Armbänder vernarrt ist.«
    Dann sind wir durch die Gärten der Champs-Elysées gelaufen, an den Theatern vorbei und am Kasperletheater. Dann in die Rue du Faubourg-Saint-Honoré, wo es viele Geschäfte gab mit den Namen bekannter Marken: Lanvin, Hermès, Saint-Laurent, Cardin..., die waren schon komisch, diese Boutiquen, alle riesengroß und ganz leer im Vergleich zum Laden von Monsieur Ibrahim, der nicht größer war als ein Badezimmer, wo aber nirgends noch ein Haar reinpaßte, wo man vom Fußboden bis zur Decke auf jedem Regal, dreimal hoch- und viermal tiefgestapelt, alles Lebensnotwendige fand - und auch das nicht so Notwendige.
    »Es ist schon verrückt, Monsieur Ibrahim, wie arm die Schaufenster der Reichen sind. Nichts ist drin.«
    »Das eben ist der Luxus, Momo, nichts im Schaufenster, nichts im Laden, alles im Preis.«
    Zuletzt waren wir in den versteckten Gärten vom Palais Royal, wo mich Monsieur Ibrahim zu einem frisch gepreßten Zitronensaft einlud und wo er auf einem Barhocker seine berühmte Regungslosigkeit wiederfand, während er langsam einen Anisschnaps schlürfte.
    »Muß toll sein, in Paris zu wohnen.«
    »Aber du wohnst in Paris, Momo.«
    »Nein, ich wohne in der Rue Bleue.« Ich schaute ihm zu, wie er seine Anisette genoß.
    »Ich dachte, daß Moslems keinen Alkohol trinken.«
    »Ja, aber ich bin Sufi.« Da wurde mir klar, daß ich zu indiskret wurde, daß mir Monsieur Ibrahim nichts weiter über seine Krankheit erzählen wollte - was eigentlich sein gutes Recht war; und ich schwieg, bis wir zurück waren in der Rue Bleue.
    Am Abend habe ich dann im Larousse meines Vaters nachgeschlagen. Ich muß wirklich sehr besorgt um Monsieur Ibrahim gewesen sein, denn Wörterbücher hatten mich, wirklich, bis dahin immer tief enttäuscht.
    »Sufismus: Mystische Richtung des Islam, entstanden im 8. Jahrhundert. Im Gegensatz zum Legalismus betont er die innere Versenkung.«
    Da, schon wieder! Wörterbücher erklären einem immer nur die Wörter, die man schon kennt.
    Nun gut, der Sufismus war keine Krankheit, was mich schon ein bißchen beruhigte, er war eine Art des Denkens - obwohl es auch Denkarten gibt, die eine Krankheit sind, wie Monsieur Ibrahim des öfteren sagte. Anschließend habe ich dann sowas wie eine Schnitzeljagd veranstaltet, um zu versuchen, all die Wörter der Erläuterung zu verstehen. Danach konnte man annehmen, daß Monsieur Ibrahim mit seinem Anisschnaps an Gott in der Weise der Muselmanen glaubte, aber in einer Art, die fast an Schummel grenzte, weil »im Gegensatz zum Legalismus«, und das, das hat mir wirklich Mühe gemacht..., wenn Legalismus wirklich »strikte Befolgung der Gesetze« bedeutet, wie die Leute vom Wörterbuch behaupteten..., bedeutet das doch, grob gesagt, etwas Schlimmes, nämlich, daß Monsieur Ibrahim unaufrichtig ist, daß also mein Umgang mit ihm kein Umgang für mich war. Wenn aber gleichzeitig das Gesetz zu achten bedeutet, ein Rechtsanwalt wie mein Vater zu sein, mit einem grauen Gesicht und einem derart tristen Zuhause, dann bin ich lieber mit Monsieur Ibrahim zusammen gegen den Legalismus. Und die Leute vom Wörterbuch fügten hin zu, daß der Sufismus von zwei alten Typen erfunden worden wäre, Al-Halladj und Al-Ghazali, Namen, mit denen man nur in einer Hinterhofmansarde hausen kann - jedenfalls in der Rue Bleue -, und sie gaben weiter an, daß es eine innere Versenkung sei, und das stimmt, Monsieur Ibrahim war immer sehr verschwiegen, verglichen mit all den Juden in der Straße.
    Während des Essens konnte ich es mir nicht verkneifen, meinen Vater, der gerade sein Hammelragout, Marke Chappi Royal, verspeiste, zu fragen:
    »Papa, glaubst du an Gott?«
    Er schaute mich an. Dann sagte er langsam:
    »Ich sehe, du wirst ein Mann.«
    Ich sah keinen Zusammenhang. Ich habe mich allerdings einen Augenblick lang gefragt, ob ihm nicht irgend jemand von meinen Besuchen bei den Mädchen in der Rue de Paradis erzählt hatte. Aber er fuhr fort:
    »Nein, ich habe es nie geschafft, an Gott zu glauben.«
    »Nie geschafft? Warum? Muß man sich dabei so anstrengen?«
    Er schaute sich im Halbdunkel der Wohnung um.
    »Um zu glauben, daß das alles einen Sinn hat? Ja. Da muß man sich schon sehr anstrengen.«
    »Aber Papa, wir sind doch Juden, du und ich?«
    »Ja.«
    »Und Jude
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