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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht
Autoren: Manfred Zach
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Wochenende, wenn der Druck, der unerträglich sei, unerträglich für ihn und seine Familie, weiterwachse … Da hing er in den Seilen, hatte das kleine Einmaleins des verbalen politischen Boxkampfs vergessen, bot sich ungeschützt und mit hängenden Armen dar, war nur noch ein verzweifelter Mensch, der um Menschlichkeit bat und sie nicht bekam.
    Gundelach brach ab.
    Er packt’s nicht, sagte er später zu Raible. ›Angst essen Seele auf‹ das ist es. Die wissen doch alles. Das macht ihn fertig, das hat ihm die Seele, die wir kennen, geraubt. Jetzt ist er nur noch ein gehetzter Mensch, der seinen Frieden haben will. Es geht ihm gar nicht mehr um das Amt, er hat es längst verloren gegeben. Wir haben’s die ganze Zeit über bloß nicht gemerkt. Er will seine Familie nicht verlieren, die Achtung seiner Freunde nicht einbüßen. Dagegen kann man nichts tun. Und eigentlich auch wenig sagen.
    Sie beschlossen, das Interview, koste es was es wolle, zu unterdrücken. Die Zeitung selbst lieferte ihnen die passende Begründung dafür, als sie, von der bevorstehenden Rücktrittsschlagzeile berauscht, die redaktionelle Fassung des Gesprächs der Deutschen Presseagentur anbot, ehe es von der Pressestelle freigegeben worden war. Gundelach bestritt gegenüber der Agentur, daß Specht seinen Rücktritt in Aussicht gestellt hätte, und zog anschließend das ganze Interview zurück.
    Die Zeitung schäumte.
    Merken Sie sich eins, sagte der Leiter der landespolitischen Redaktion, mit dem Gundelach bis dahin gut zusammengearbeitet hatte, von heute an sind Sie für mich gestorben. Wenn mich künftig jemand nach dem Herrn Gundelach fragt, werde ich antworten: Gundelach? Nie gehört.
    Noch einmal war es gelungen, Spechts wahre Seelenverfassung nach außen geheimzuhalten. Aber Gundelach wußte, daß es das letzte Mal gewesen war.
    Das Fax aus Hamburg traf am frühen Nachmittag des folgenden Tages ein. Der Spiegel berichtete, Specht habe auf Einladung Stierles unter falschem Namen mehrere Reisen nach Fernost unternommen, sogenannte B-Reisen, bei denen er selten das Zimmer verlassen und stets größten Wert auf Diskretion gelegt habe. Fotografien zeigten ein Strichmilieu in Bangkok. Außerdem habe Stierle ihn auf seine Farm in Irland eingeladen. Alle anderen Fakten boten nichts Neues.
    Nüchtern betrachtet, handelte es sich bei dem Artikel um einen Aufwasch größtenteils bekannter Tatsachen, dem durch die Andeutung fernöstlicher Diwane das schwüle Rot eines un-christdemokratischen Sittengemäldes beigemengt war. Es wurde wenig Konkretes gesagt, doch man konnte sich viel Allgemeines dabei denken.
    Gundelach und Raible stimmten in der Analyse überein, daß der Angriff zu parieren sein würde. Der Ministerpräsident besaß aus Sicherheitsgründen tatsächlich einen Paß mit Decknamen, den er benutzen sollte, wenn ihn keine Leibwächter begleiteten. Warum sollte er nicht auf Diskretion Wert gelegt haben? Und was hieß das überhaupt? Mutmaßen konnte man viel, Beweise aber hatte der Spiegel nicht vorgelegt.
    Aber sie wußten auch, daß es darauf nicht mehr ankam. Specht, der ›Global Player‹, war auf den Punkt privatester Ängste gebracht. Es gab keinen Politiker mehr, dem zu raten oder für den zu taktieren gewesen wäre.
    Als Specht nach der Lektüre des Spiegel-Artikels fast routinemäßig sein Es-hat-keinen-Zweck-mehr sagte, widersprach ihm Gundelach nicht mehr. Zwar wies er darauf hin, daß das Material dürftig und der Spiegel offenbar an der rechtlich zulässigen Grenze seines Enthüllungsjournalismus’ angelangt sei, aber er sagte auch: Sie müssen nicht zurücktreten, aber Sie wollen es. Und das ist allein Ihre Entscheidung.
    Seltsamer- oder bezeichnenderweise war Specht mit dieser Auskunft unzufriedener als mit Gundelachs tagelanger Widerspenstigkeit. Seinen Rücktritt einfach zur Privatsache zu erklären, schien sein Empfinden für die staatspolitische Dramatik eines solchen Schrittes denn doch zu verletzen. Und so entfaltete er bis in die Nacht hinein ein hektisches Krisenszenario, das seiner Vorstellung, wie es zuzugehen hat, wenn Elefanten sterben, entsprechen mochte. Landwirtschaftsminister Reiser und Innenminister Schwind wurden zu Beratungen herbeigerufen, Hans Henschke, der frühere Persönliche Referent, und ein Duzfreund-Manager fanden sich plötzlich ein, viele Telefonate hinter verschlossener Tür folgten, mit Stierle, mit Kiefer, mit Eckert, sicher auch mit Tom Wiener, dazwischen Gespräche in kleinen und in
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