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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht
Autoren: Manfred Zach
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Oder, dachte er beklommen, ist das alles ein abgekartertes Spiel? Legt Kurz es darauf an, mich aus der Reserve zu locken? Soll auf diese Weise meine wahre Gesinnung geprüft werden? Bei einem Vorstellungsgespräch ist man auf der Hut, aber so ein angenehmer Rundgang verleitet zum Plaudern … Wenn dem so war, hatte er vorhin, ohne es zu wollen, klug reagiert. Und womöglich hatte Andreas Kurz sich durchschaut gefühlt und war nahe daran gewesen, die Maske fallen zu lassen?
    Schweigend verließen sie das kleine blaue Kabinett.
    Im Erdgeschoß stand nur noch eine Räumlichkeit zur Besichtigung an, die sogenannte Bibliothek. Was Gundelach aus Studienzeiten (die es nach dem Abklingen der Sturm- und Drangperiode ja schließlich und endlich auch gegeben hatte!) mit diesem Begriff verband − Weihestätten des Intellekts, turmhohe Leitern vor schwindelerregenden Bücherregalen, karge Arbeitstische, an denen der reinen Wissenschaft stumm geopfert wurde −, war allerdings weit entfernt von der Interpretation geistigen Strebens, mit der er sich in dieser Machtzentrale gegenübersah. Nein, die Monrepos’sche Bibliothek war das gerade Gegenteil wahrheitssuchender Askese: ein behaglich-üppiger Salon, an dessen rotbraunen Wandpaneelen leichtgeschürzte Römerinnen aus schimmerndem Schildpatt damit beschäftigt waren, der heutigen, vielleicht gerade aufs quellende Polster niedersinkenden Lebewelt Rosen vors Cognacglas zu streuen. Die biedermeierlichen Sessel − nannte man sie nicht sogar Fauteuils? − riefen Gundelach unwillkürlich eine Filmszene aus Jules Vernes »In achtzig Tagen um die Welt« ins Gedächtnis, die sich ihm als Bub, der mit heißen Ohren neben dem Vater im Kino saß, eingeprägt hatte. In solchen Sesseln, in einem ungemein distinguierten Club, war die Idee, die Welt in atemberaubendem Tempo zu umrunden, geboren worden − aus einer spielerischen Laune heraus, aus Langeweile wohl gar … Ach, heute reiste man ungleich schneller im Düsenjet zu allen Erdteilen hin und machte davon kein Aufhebens mehr. Aber der Gegensatz zwischen wollüstiger Erschlaffung, zu der das Interieur einzuladen schien, und der hektischen Betriebsamkeit, die Verwegene damit einzutauschen bereit waren, faszinierte Gundelach noch immer.
    Unmittelbar neben der Tür zur Bibliothek führte eine Wendeltreppe mit mäandrisch verflochtenem Geländer zu einer niedrigen Galerie empor. Dort hätte man sich nun in der Tat aus ein paar Regalen mit Lesestoff versorgen können, wenn er denn vorhanden gewesen wäre. Es standen aber nur altersgraue verstaubte Folianten darin, Sammlungen von Gesetzen und Erlassen aus vor- und frührepublikanischer Epoche.
    In der Bibliothek finden vertrauliche Unterredungen statt, beispielsweise mit Journalisten oder Wirtschaftsverbänden, erläuterte Kurz. Das Ambiente ist dafür sehr günstig. Kaum einer traut sich, hier aufmüpfig zu werden. Übrigens − er schlug den Teppich zurück −, da ist die Falltür!
    Gundelach, inzwischen an einem der schmalen Fenster angelangt, die nur wenig Licht einließen, wandte sich höflich um, deutete dann aber nach draußen und fragte mit einem Anflug von Entsetzen: Was ist denn das?
    Nur wenige Meter vom Schloß entfernt ragte ein zweistöckiger Flachbau mit Betonwänden, Stahlstreben und Aluminiumfenstern in den Park.
    Ach, das … Das ist der Anbau, den wir vor wenigen Jahren bekommen haben. Im Erdgeschoß ist die Kantine untergebracht, drüber die Haushalts- und Personalabteilung, und im zweiten Stock hat Pullendorfs Landespolitische Abteilung ihr Reich.
    Schrecklich, sagte Gundelach. Wer genehmigt denn sowas?
    Wir, antwortete Kurz. Wer sonst? Tradition und Fortschritt, verstehen Sie? Die CDU ist eine moderne Partei, jedenfalls hintenraus. Und von außen sieht man das architektonische Schmuckstück ja nicht. − Kommen Sie, wir müssen uns etwas beeilen.
    Im Hinausgehen entdeckte der Assessor das Bildnis des dritten Ministerpräsidenten, der nur für kurze Zeit Regierungschef gewesen und dann zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts berufen worden war. Streng und, so kam es Gundelach vor, strafend musterte der hohe Jurist die beiden Greenhorns unter sich.
    Eilends marschierten sie an ihm vorbei.
    Für die Erkundung des repräsentativen Parterres hatte sich Andreas Kurz viel Zeit genommen. Um so drängender verfuhr er nun im eigentlichen Arbeitszentrum des Hauses, im Obergeschoß. Vielleicht fürchtete er, dem Ministerpräsidenten, einem Minister oder Staatssekretär
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