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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht
Autoren: Manfred Zach
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Kastanien und Eiben. Einige Araukarien ragten herrisch heraus. Wie eine dünne silberne Schlange schimmerte die Serpentine von unten hoch. Irgendwo an ihrem nadelfeinen Ende mußten auch die vergoldeten Lanzettspitzen des hohen Eisenzauns beginnen, der das riesige Gelände einfriedete.
    Von fern drang das gleichförmige Summen der Stadt herauf.
    Wozu dient dieser Raum jetzt? fragte Gundelach, als sie ins Haus zurückkehrten.
    Stehempfänge, Verdienstkreuzverleihungen, Begrüßungszeremonien für ausländische Delegationen, ehe man sich zum Essen zurückzieht, antwortete Andreas Kurz abwesend. Kennen Sie übrigens diese Herren?
    Erst jetzt bemerkte Gundelach die beiden Gemälde neben der Tür, durch die sie hereingekommen waren − Porträts zweier Ministerpräsidenten, in ihrer handwerklichen Ausführung wie in der Charakterisierung grundverschieden. Das eine war elegant und effektvoll komponiert, in breiten Strichen aufgetragen, und verwendete viel Raffinesse, die an Koketterie heranreichte, auf die optische Wirkung eines taubenblauen Anzugs, aus dem ein scharf geschnittenes Haupt mit rosigfrischem Teint und silbriger Haarpracht sich würdevoll über den Betrachter erhob. Das andere kam demgegenüber bieder, ja bäuerisch daher. Vor dem schon etwas speckig glänzenden Firnis eines dunklen, erdenschweren Hintergrunds blinzelte ein beeindruckender Dickschädel mißbilligend auf den protzigen Teppich und vergrub seine Hand in der Tasche eines Kleidungsstücks, das im heimischen Sprachgebrauch bestenfalls als ›Aziegle‹ durchgegangen wäre. Aus der Weste aber lugte eine massivgoldene Uhrkette hervor. Gundelach dachte mit einer gewissen Ehrfurcht daran, daß der erste demokratische Landesvater − denn um jenen handelte es sich − seinerzeit mit Hilfe dieser Uhr die Geburtsstunde des neuen Bundeslandes vor der Parlamentarischen Versammlung buchhalterisch genau zu Protokoll gegeben hatte.
    Der dritte hängt in der Bibliothek, sagte Andreas Kurz. Und da wird wohl auch der jetzige mal landen, wenn seine Zeit vorüber ist.
    Aber, wer denkt schon an sowas! entrüstete sich der Assessor. Bei Breisingers beispielloser Popularität! Es gibt doch überhaupt keine Alternative zu ihm. Oder glauben Sie, die Leute wählen den Griesgram Meppens, der ihnen dauernd vorhält, daß sie im Überfluß leben, Energie verschwenden und die Natur zerstören? Meppens macht sich doch nur lächerlich, selbst bei der Arbeiterschaft, die eigentlich seine Klientel sein müßte! Nein, nein, Breisinger macht noch zwei, drei Legislaturperioden, da bin ich absolut sicher.
    Kurz schaute seinen neuen Kollegen nachdenklich an. Als trüge er schon wieder eine despektierliche Bemerkung auf der Zunge, öffnete er die Lippen, schloß sie wieder, schluckte und sagte leichthin: Trau, schau wem. Warten wir’s ab.
    Damit nahm die Führung durch den Olymp ihren Fortgang. Gundelach war verwirrt, daß sein patriotisches Credo so wenig Begeisterung ausgelöst hatte. Wo, wenn nicht hier, hätte er es anbringen sollen?
    Rechts des ovalen Empfangszimmers lag ein holzgetäfelter Saal, der siebzig oder achtzig Personen Platz für festliche Anlässe bot. In gerader Reihe waren Tische und Stühle aufgestellt, vor den Fenstern bauschten sich damastene Chabraquen, Messingleuchter hingen von der wuchtigen Kassettendecke bis zur halben Saalhöhe herab, und zwei marmorne Säulen an der Längsseite mochten den Ort bezeichnen, an dem der Gastgeber seine illustre Gästeschar zu begrüßen pflegte. Eine schmale Seitentür führte zum Küchengelaß, das sie jedoch ausließen.
    Das ist nicht unsere Welt, sagte Andreas Kurz bestimmt. Gehen wir lieber rüber in den Blauen Salon.
    Der war nun von ganz anderer Art, klein und quirlig-verspielt, ein intimes Kabinett mit aquamarinfarbenen Seidentapeten, goldumrahmten Barockspiegeln, zierlichen, um einen intarsiengeschmückten Tisch gruppierten Stühlchen und einem falschen Kamin.
    Hier, sagte Kurz, wird weniger gefressen als drüben, dafür um so mehr Politik gemacht. Konspiriert statt diniert, sozusagen.
    Gundelach beschlich allmählich das unbehagliche Gefühl, daß es dem Gefährten der ersten Stunde am nötigen Ernst oder an der eigentlich zu erwartenden, unbedingten Loyalität seinem Dienstherrn gegenüber mangeln könnte. Doch war solches überhaupt denkbar in einer Gemeinschaft, die der öffentlichen Meinung als stramme Prätorianergarde galt, welche der amtierende Regierungschef sorgsam ausgesucht und auf sich eingeschworen hatte?
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