Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit

Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit

Titel: Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit
Autoren: Elke Meyer
Vom Netzwerk:
Als Rauch aus der Metallschale stieg, schwenkte sie diese über den Runensteinen und rief die Geister der Toten an. Zuerst stieg der Rauch säulenartig empor, bis er sich ausbreitete und Konturen eines menschlichen Gesichts annahm.
    Sie konnte den Aufschrei nicht unterdrücken, als sich Hermits Züge im Rauch formten. Die Schale entglitt ihren Händen und polterte auf den Boden. Hermit sollte sterben? Das Orakel musste sich irren oder sie hatte etwas falsch interpretiert. Du willst die Wahrheit nicht sehen , mahnte ihre innere Stimme. Hermit wird sterben, so will es das Schicksal.
    „Nein!“, schrie sie und schlug mit der Faust auf den Boden. Es durfte nicht sein. Nicht Hermit, ihr väterlicher Freund. Amber glaubte, in einen Abgrund zu stürzen. Wer sollte nach seinem Tod das Schattentor bewachen? Außer ihm existierte kein Druide. Doch, du, meldete sich ihre innere Stimme zurück. Nein, sie war noch nicht so weit. Es gab noch vieles, was sie lernen musste. Dazu brauchte sie Jahre, und vor allem Hermit. Sie wusste, dass der Alte regelmäßig das Runenorakel befragte.
    Ob auch er seinen Tod gesehen hatte? Vielleicht verschwieg er es ihr aus Sorge, sie könnte sich um ihn ängstigen. Der Tod ist nur der Übergang in ein anderes Leben, pflegte er stets zu sagen. Amber fürchtete sich nicht vor dem Tod, doch davor, sich von einem Freund und lieben Menschen für immer verabschieden zu müssen.
    Zwischen Aidan und ihr war das Thema Tod ein Tabu. Als sie ihn nach seinen Empfindungen gefragt hatte, war er ausgewichen.
    Sie musste sofort zu Hermit, sich vergewissern, dass es ihm gut ging. Hastig löschte sie den glimmenden Weihrauch mit Wasser und räumte die Runenhölzchen fort, bevor sie sich auf den Weg zum Haus des Druiden begab.
    Die Frühlingsluft war eisig und klar. Die Hände tief in den Taschen vergraben, stapfte Amber den schmalen Pfad entlang, der zwischen den reifgefrorenen Heidekissen zu Hermits Haus führte. Aus dem Schornstein stieg hellgrauer Rauch auf. Sonnenschein überzog das Moosdach mit einem goldenen Schimmer. Ein Motiv wie auf einer kitschigen Postkarte.
    Gleich würden sich ihre Ängste zerstreuen, wenn sie ihm gegenüberstand und er sie anlächelte, wie er es immer tat. Er würde sie hineinbitten und ihr einen seiner würzig duftenden Kräutertees servieren, der ihrer Unterhaltung zusätzlich eine anheimelnde Atmosphäre verlieh.
    Sie hob die Hand, um anzuklopfen, als die Tür mit einem Knarren überraschend aufsprang. Sie verharrte auf der Schwelle. Irgendetwas stimmte nicht. Hermit schloss immer mit äußerster Sorgfalt ab. Er war nicht so dement, um es zu vergessen. Sie schob die Tür auf, um einen Blick in den Flur zu werfen. Alles sah wie immer aus.
    „Hermit? Wo steckst du?“, rief sie in den Flur. Die ausbleibende Antwort beunruhigte sie. Ihre Sinne waren aufs Äußerste geschärft. Deutlich spürte sie eine dunkle Präsenz, doch es war nicht Aidan. Sie konzentrierte sich auf die feinen Schwingungen, die ihr vielleicht mehr über den Besitzer der dunklen Aura verraten konnten. Doch sie verflogen zu schnell. Als sie ein Röcheln aus dem Wohnzimmer hörte, eilte sie dorthin.
    Hermit saß zusammengesunken in seinem plüschigen Ohrenbackensessel, mit geöffneten, bläulichen Lippen, von denen Speichel auf sein Hemd tropfte. Eine Hand hielt er gegen seinen Brustkorb gepresst.
    „Hermit? Um Gottes willen, was ist mit dir?“
    Als der Alte nicht reagierte, geriet sie in Panik. Notarzt! Sie musste einen Notarzt rufen. Mit zittrigen Händen suchte sie in ihren Taschen vergeblich nach dem Handy und fluchte. Immer wenn sie es brauchte, trug sie es nicht bei sich. Sie rannte in den Flur zu dem nostalgischen Telefon und drehte die Wählscheibe. Wenig später meldete sich die Notrufzentrale. In knappen Sätzen beschrieb sie Hermits Zustand und gab seine Adresse durch.
    Sie wartete eine gefühlte Ewigkeit auf den Notarzt, während sie um das Leben des Alten bangte. Immer wieder strich sie ihm über das schlohweiße Haar und tätschelte seine Hand. Seine Haut war fahl und die Stirn von kaltem Schweiß bedeckt.
    „Halte durch und lass mich nicht allein. Hast du gehört? Hermit, bitte, ich brauche dich.“
    Das Orakel hatte nicht gelogen, aber sie war vielleicht noch rechtzeitig gekommen. Hermits Lippen zitterten. Er flüsterte so leise, dass sie nichts verstehen konnte. Während er nach Atem rang, riss er seine glasigen Augen weit auf. Er wollte ihr etwas Wichtiges mitteilen. Amber beugte sich weiter vor
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher