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Momo

Momo

Titel: Momo
Autoren: Michael Ende
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unbekömmlich.
Darum zünden sie die Zigarren an und rauchen sie. Denn erst in diesem Rauch ist die Zeit nun wirklich ganz und gar tot. Und von solcher toten Menschenzeit fristen sie ihr Dasein.“
Momo war aufgestanden. „Ach!“ sagte sie, „soviel tote Zeit…“
„Ja, diese Mauer von Rauch, die sie dort draußen rund um das Nirgend-Haus wachsen lassen, besteht aus toter Zeit. Noch ist genügend freier Himmel da, noch kann ich den Menschen ihre Zeit unversehrt zusenden. Aber wenn die finstere Qualmglocke sich rundherum und über uns geschlossen haben wird, dann mischt sich in jede Stunde, die von mir ausgeschickt wird, etwas von der abgestorbenen, gespenstischen Zeit der grauen Herren. Und wenn die Menschen die empfangen, dann werden sie krank davon, todkrank sogar.“
Momo starrte Meister Hora fassungslos an. Leise fragte sie: „Und was ist das für eine Krankheit?“
„Am Anfang merkt man noch nicht viel davon. Man hat eines Tages keine Lust mehr, irgend etwas zu tun. Nichts interessiert einen, man ödet sich. Aber diese Unlust verschwindet nicht wieder, sondern sie bleibt und nimmt langsam immer mehr zu. Sie wird schlimmer von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Man fühlt sich immer mißmutiger, immer leerer im Innern, immer unzufriedener mit sich und der Welt. Dann hört nach und nach sogar dieses Gefühl auf, und man fühlt gar nichts mehr. Man wird ganz gleichgültig und grau, die ganze Welt kommt einem fremd vor und geht einen nichts mehr an. Es gibt keinen Zorn mehr und keine Begeisterung, man kann sich nicht mehr freuen und nicht mehr trauern, man verlernt das Lachen und das Weinen. Dann ist es kalt geworden in einem, und man kann nichts und niemand mehr lieb haben. Wenn es einmal soweit gekommen ist, dann ist die Krankheit unheilbar. Es gibt keine Rückkehr mehr. Man hastet mit leerem, grauem Gesicht umher, man ist genauso geworden wie die grauen Herren selbst. Ja, dann ist man einer der ihren. Diese Krankheit heißt: Die tödliche Langeweile.“ Momo überlief ein Schauder.
„Und wenn du ihnen also nicht die Zeit aller Menschen gibst“, fragte sie, „dann machen sie, daß alle Menschen so werden wie sie?“
„Ja“, antwortete Meister Hora, „damit wollen sie mich erpressen.“ Er stand auf und wandte sich ab.
„Ich habe bis jetzt darauf gewartet, daß die Menschen selbst sich von diesen Plagegeistern befreien würden. Sie hätten es gekonnt, denn sie selbst haben ihnen ja auch zum Dasein verholfen. Aber nun kann ich nicht länger warten. Ich muß etwas tun. Aber ich kann es nicht allein.“ Er blickte Momo an. „Willst du mir helfen?“
„Ja“, flüsterte Momo.
„Ich muß dich in eine Gefahr schicken, die gar nicht zu ermessen ist“, sagte Meister Hora. „Und es wird von dir abhängen, Momo, ob die Welt für immer still stehen wird, oder ob sie von neuem beginnen wird, zu leben. Willst du es wirklich wagen?“
„Ja“, wiederholte Momo, und diesmal klang ihre Stimme fest. „Dann“, sagte Meister Hora, „gib jetzt genau acht auf das, was ich dir sage, denn du wirst ganz und gar auf dich gestellt sein, und ich werde dir nicht mehr helfen können. Ich nicht und niemand sonst.“ Momo nickte und schaute Meister Hora mit äußerster Aufmerksamkeit an.
„Du mußt wissen“, begann er, „daß ich niemals schlafe. Wenn ich einschliefe, würde im gleichen Augenblick alle Zeit aufhören. Die Welt würde still stehen. Wenn es aber keine Zeit mehr gibt, dann können die grauen Herren auch niemand mehr bestehlen. Zwar können sie noch eine Weile weiterexistieren, da sie ja große Vorräte an Zeit besitzen. Aber wenn diese verbraucht sind, müssen sie sich in Nichts auflösen.“
„Aber dann“, meinte Momo, „ist es doch ganz einfach!“
„Leider ist es eben nicht so einfach, sonst brauchte ich ja nicht deine Hilfe, Kind. Wenn es nämlich keine Zeit mehr gibt, dann kann ich ja auch nicht wieder aufwachen. Und damit bliebe die Welt still und starr für alle Ewigkeit. Aber es liegt in meiner Macht, dir, Momo, dir ganz allein eine Stunden-Blume zu geben. Freilich nur eine einzige, weil ja immer nur eine blüht. Wenn also alle Zeit auf der Welt aufgehört hat, so hättest du noch eine Stunde.“
„Dann kann ich dich doch wecken!“ sagte Momo. „Damit allein“, versetzte Meister Hora, „hätten wir nichts erreicht, denn die Vorräte der grauen Herren sind viel, viel größer. In einer einzigen Stunde hätten sie davon so gut wie nichts verbraucht. Sie wären also danach noch immer da. Die
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