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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Autoren: Martin Horvath
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angelaufen. Ich bringe mich um, wenn ich nicht Asyl bekomme, jault das braune Mädchen, Bring dich doch um, ruft es aus der Zeitung, Bring dich um, bekräftigt der Chor, bring dich endlich, endlich um.
    Der Politiker mit den blauen Augen erklimmt eine Tribüne vor dem Parlament, er räuspert sich, Fass, ruft er dann ins Mikrofon, fass, fass, fass, fass, fass schreit er minutenlang, dann öffnet er die Tore des Parlaments, er zieht an einer Leine, heraus drängen seine Nationalratsabgerichteten mit hechelnder Zunge, Schaum steht ihnen vor dem Mund, Fass, ruft ihnen der Politiker noch einmal zu, dann löst er ihre Leinen. Der Minister für Innereien folgt ihm am Rednerpult, Fass, fass, fass, lautet auch seine Botschaft, Fass, fass, fass, tippt der alte Mann im Hochhaus in die Zeitungsmaschine, Fass, fass, fass, tönt es durch die Stadt, und Füße trampeln kopflos, Köpfe sind ihnen im Weg, weg mit den Köpfen, weg mit allem, was den Füßen im Weg ist.
    Auch die Straßenbahn wird gestürmt von den kopflosen Horden, die Ketten werden gelöst, es trampelt, es geifert, es rauft um die Beute, man zerrt sie einmal hierhin, einmal dorthin, man sperrt sie in die wartenden Käfige und holt sie wieder heraus, man schlägt auf sie ein und trampelt auf ihr herum, Mein Fahrer, salutiert ein Uniformierter vor dem Steuermann, nachdem die Meute verschwunden ist und sich nichts mehr regt, ich melde gehorsamst, die Straßenbahn ist ausländerfrei. Endlich sind wir wieder unter uns, quittiert der Steuermann, Unter uns, jubiliert der Chor, unter uns, über uns, unter sich, außer sich, Aber ich bin doch noch da, will ich schreien, doch der Knebel in meinem Mund macht es mir unmöglich, mit einem Knebel im Mund kann ein Ausländer nicht schreien, keiner hört mich, aber warum sieht mich denn keiner?
    Die Straßenbahn fährt weiter, draußen dauert das Fest an, im Rathauspark tanzen die Lichter, es grölt und johlt aus Glühweinkehlen, noch mehr Käfige hängen in den Bäumen, ich halte nach Oma Ausschau, ihr Käfig schaukelt weit oben im Wind, doch was sehe ich da, er ist leer! Die Tür steht offen, ein Seil hängt herab, jemand steht unten und hält es fest, Oma lässt sich gerade daran zu Boden gleiten! Gut gemacht, Oma, bravo, rufe ich ihr innerlich zu, und erst dann entdecke ich, dass auch die anderen Käfige in den Bäumen leer sind, überall hängen Seile herunter. Und da bemerke ich den Tumult, der vor dem Rathaus losgebrochen ist, der große Käfig in der Mitte des Platzes, der vor Kurzem noch zum Bersten gefüllt war, auch er steht leer, kopflos rennt die Humanoidenmasse hierhin, dann wieder dorthin, aus ihrem Punschtaumel gerissen, weiß sie nicht, wie und was ihr geschieht. Wo sind sie hin, ruft es zwischen den Weihnachtsmarktständen, Wer hat sie freigelassen, fragt es bestürzt, Wie sollen wir die je wieder einfangen, kratzt es sich ratlos am Gekopfe, und die Glühweihnachtsgemütlichkeit ist mit einem Schlag vorüber. An der Tür des großen Käfigs erkenne ich plötzlich Lukas Neuner, Dort hinüber, ruft er und deutet Richtung Votivkirche, sie sind dort rübergelaufen, und die Meute stürmt los. Da, da drüben sind sie, sagt Hans Pogatschnigg, er steht an der Tür eines weiteren Käfigs vor dem Burgtheater und zeigt auf den Volksgarten, und die Masse stiefelt in die angegebene Richtung über Busch und Beet. Und die Straßenbahn fährt weiter, und überall bietet sich das gleiche Bild, vor der Universität schickt der Onkel die Meute in die Innenstadt, am Ringturm lässt die Schöne Helena ihre Generalsstimme hören, Nicht da hin, ihr Trotteln, dorthin sind sie geflüchtet, donnert sie und deutet auf die andere Seite des Donaukanals, und es trampelt in- und auf- und übereinander, bevor es wendet und mit wütendem Gebell über die Brücke setzt, und auch die Käfige vor der Urania und auf dem Luegerplatz und vor der Oper und dem Parlament sind gähnend leer.
    Und dann sehe ich die Flüchtenden, schon sind sie am Stadtrand angekommen, ich sehe sie die Abhänge des Wienerwaldes bergan keuchen, ich sehe sie in den Auen auf der anderen Seite der Donau, ich sehe sie zwischen Industrieanlagen im Osten und vor dem Einkaufszentrum im Süden der Stadt, die Straßenbahn dreht weiter ihre Runden auf der Ringstraße, doch mein Blick reicht bis zu den Rändern der Stadt und darüber hinaus. Die Verfolger haben die Fährte aufgenommen und schließen langsam auf, einige der Verfolgten sind erschöpft und fallen zurück, ich erkenne
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