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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Autoren: Martin Horvath
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Folterknechte, doch ihr letztes Wort lautet Trottel! Volltrottel, pflichtet ihr die Großmutter bei, denn ihre Söhne haben Nino in fünf statt in vier Teile geteilt, Das bringt großes Unglück über dieses Haus, kreischt sie, während die heilige Nino mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen auffährt in das Himmelsdreieck zwischen Sochumi und Wien und Tbilisi.
    Manche sind allerdings, ohne auch nur einen von Angst beflügelten Fuß vor den anderen setzen zu können, gleich dem ersten Wüten der Meute zum Opfer gefallen, ihre Körper liegen zerfetzt in den Straßen oder treiben in schwarzen Wassern dem Meer entgegen, Verwesungsgestank mischt sich mit dem Geruch von Punsch und Glühwein. Die Menschen auf den Straßen scheint der Gestank nicht zu stören, sie stehen vor dem Burgtheater und der Universität und der Oper und dem Parlament und trinken und lachen und grölen, Fröhliche Weihnacht überall, rülpst es, O Tannenbaum, furzt es. Auch in der Straßenbahn wird gerülpst und gefurzt, doch plötzlich verstummt die Menge, Mündern und Därmen verschlägt es die Sprache, denn mit einem Mal wird es mitten am Tage nachtschwarz über der Stadt. Der Fahrer hält an, die Leute drücken ihre Nasen an die Scheiben und schauen verängstigt hinaus auf den Donaukanal, Das Ende der Zeiten ist gekommen, predigt einer, Gott bestraft die Menschheit für all ihre Freveltaten, und die Menschen fallen auf die Knie und bekreuzigen sich. Und plötzlich ist da ein gleißendes Licht über dem Wasser, genau an der Stelle, an der man Haluk ertränkt hat, und da, etwas taucht auf aus dem schwarzen Nass, Es ist Haluk, krächzt Djaafar freudenreich, und von sieben Sternen umstrahlt steigt sein Körper auf in den nächtlichen Himmel.
    Auch Mira und Alenka hatten keine Möglichkeit zu fliehen. Beide wurden direkt vor meinen Augen erschlagen, ihre blutüberströmten, leblosen Körper sitzen immer noch ein paar Reihen vor mir, und keiner kümmert sich um sie. Doch da, da geht mit einem Mal ein Zucken durch Alenka, sie richtet sich auf, jetzt hebt auch Mira den Kopf, Sie leben, krächzt Djaafar der Rabe, doch dann fallen die beiden in sich zusammen, zerfallen zu Staub, Staub macht sich im Wagen breit, Asche zu Asche, Staub zu Staub, krächzt Djaafar enttäuscht. Doch plötzlich beginnt der Staub zu funkeln, Licht erfüllt den Waggon, erst jetzt nehmen die anderen Fahrgäste Notiz davon und fallen wieder auf die Knie mit einem Vaterunser auf den Lippen. Bei der nächsten Station fährt ein kalter Windstoß herein und wirbelt den Staub zur Tür hinaus, Mira und Alenka machen sich auf ihre letzte Reise, bald haben sie ihr Ziel am äußeren Ende der Milchstraße erreicht, als rötlich funkelndes Sternbild Mater et Filia beherrschen sie von nun an den südlichen Nachthimmel, eng aneinandergeschmiegt sitzen sie da, und nichts und niemand kann die beiden je wieder entzweien.
    Auch im Westen gibt es einen neuen Himmelskörper zu beobachten – die Venus, die man bisher mondlos glaubte, hat plötzlich eine Trabantin zur Seite, Sibel ist ihr Name, die Mondgöttin umkreist die Göttin der Liebe, und beide wetteifern darin, wer den Strahlen der Sonne das schönere Spiegelbild entgegenhält. Ich sehe auch Dr. Idaulambo, auch er konnte nicht rechtzeitig flüchten, doch jetzt entsteigt seiner sterblichen Hülle ein lächelnder Satyr, die ersten Schritte im Rathauspark wirken noch ein wenig eingerostet, bald schon durchstreift er jedoch auf stolzen Bocksfüßen die Stadt, ich sehe ihn einmal hier, einmal da auftauchen, im Stadtpark nimmt eine Horde junger Mädchen hysterisch kichernd Reißaus, als er ihnen sein aufgerichtetes Bockshorn präsentiert. Ich sehe auch Dr. Bathory, Erzsébets schöner Körper liegt hingeschlachtet im Park zwischen den Pavillons, doch Nacht für Nacht erhebt sie sich aufs Neue, sie braucht frisches Blut, sie holt es sich allnächtlich bei denen, deren Adern mindestens fünf Generationen lang nicht verunreinigt wurden von fremden Einflüssen, und genüsslich schlürft Erzsébet den rot-weiß-roten Saft in sich hinein, er färbt ihr die Wangen, die rosigen, und lässt den Mond in ihren Augen ertrinken.
    Nicht alle kann ich sehen, manche haben sich auf ihrer Flucht schon zu weit entfernt, als dass meine Augen sie noch verfolgen könnten. Ich weiß nicht, wie es Pitra erging, ich habe keine Ahnung, ob Murad und seiner Mutter die Flucht gelungen ist, es entzieht sich meiner Kenntnis, was Yaya, Adolphe, Zakia, Anunu, der Familie Dolas
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