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Mörderischer Auftritt

Mörderischer Auftritt

Titel: Mörderischer Auftritt
Autoren: Anne George
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Grund dafür sein mag, dass ich nicht zugenommen habe.
    Das Alabama Theatre hat eine große Bühne. Als es gebaut wurde, war Varieté noch populär, und niemand hätte gedacht, dass die Leinwand, die für die Filmvorführungen entrollt wurde, einmal die Hauptattraktion sein würde. Unsere Plätze waren so dicht am Orchestergraben, dass wir uns hinunterlehnen und den Musikern beim Stimmen zusehenund die Mighty-Wurlitzer-Orgel mit ihrem roten Aufsatz und dem goldenen Unterbau betrachten konnten. Der Mann, den wir nach wie vor Mr Wurlitzer nannten, obwohl es seither sicher Dutzende andere gegeben hatte, trug einen weißen Smoking und las ein Taschenbuch, während er darauf wartete, sich in himmlische Höhen zu erheben.
    »Das ist so aufregend«, sagte Tammy Sue, während wir unsere Plätze einnahmen. Sie saß in der Mitte, zwischen Schwesterherz und mir. Da sie lispelte, klang das s wie ein englisches th. Sie lachte und legte einen Finger auf ihre Lippen. Dann beugte sie sich an Mary Alice vorbei zu ihrem Vater herüber. »Hast du das gehört, Daddy?«
    »Ich habe es gehört, mein Schatz.«
    »Mein armer Vater hat ein Vermögen in Sprachunterricht für mich investiert, und ich bekomme es immer noch nicht hin, wenn ich« – sie machte eine Pause – »so aufgeregt bin.«
    Tammy Sue könnte mir ans Herz wachsen. Als Lehrerin wusste ich, wie viele Sticheleien sie mit Sicherheit hatte erdulden müssen. Virgil und seine Frau verdienten große Anerkennung dafür, eine glückliche und selbstbewusste Frau herangezogen zu haben.
    Schwesterherz war ungewöhnlich still. Ich richtete meinen Blick auf sie, während ich mich mit Tammy Sue unterhielt, und sah, wie sie mehrfach zu uns herüberschaute. Aber sie machte keine Anstalten, sich in die Konversation einzuklinken. Das war überhaupt nicht die Art von Schwesterherz. Sie trug sogar einen schwarzen Hosenanzug, und die Tönung, die Delta Hairlines ihr aufs Haar geschüttet hatte, hielt dieses davon ab, ganz so orange zu sein wie sonst. Hmmm.
    »Nein, Larry und ich haben noch keine Kinder«, sagte Tammy Sue, als die Lichter verlöschten. Ich lehnte mich vor und sah, wie Mr Wurlitzer sein Taschenbuch vom Podest schob und sich aufrecht hinsetzte. Und dann fielen die magischenWorte: »Meine Damen und Herren, das Alabama Theatre ist stolz darauf, Ihnen Henry Taylor an der Mighty-Wurlitzer-Orgel präsentieren zu dürfen!«
    Ich war wieder ein Kind, als er sich ins Scheinwerferlicht erhob, mit den Füßen die Pedale betätigte und mit den Händen in die Tasten hieb. Die Orgel funkelte. Mr Wurlitzer funkelte. Wahnsinn. Hallo, mein Schatz, hallo mein Liebling.
    Der Saal gehörte ihm, und wir sangen mit. Er war nur die Aufwärmnummer, aber selbst wenn es weiter keinen Programmpunkt gegeben hätte, wären die Zuschauer zufrieden gewesen. Von ›Take me Out to the Ball Game‹ leitete er über zu ›Stars Fell on Alabama‹, und wir gingen mit ihm mit. Er endete mit ›God Bless America‹, und der halbe Saal stand auf, weil viele das Lied im ersten Moment für die Nationalhymne hielten.
    »Irving Berlin und Kate Smith wären stolz«, sagte ich zu Tammy Sue, die aufgesprungen war und sich jetzt etwas verlegen wieder setzte.
    »Wer?«
    »Er hat es geschrieben. Sie hat es gesungen.«
    »Ach so.«
    Mr Wurlitzer sank langsam zurück in den Orchestergraben, während das Publikum lauthals tirilierte und noch lange auf dem letzten Ton stehen blieb. Ich blickte zu ihm hinüber, sah, wie er das Licht an seinem Notenpult ausmachte, dem Dirigenten ein kurzes Zeichen gab und dann von seiner Bank hüpfte, noch bevor diese den Boden erreicht hatte. Dann griff er nach seinem Taschenbuch und verschwand durch eine schmale Tür unter der Bühne.
    Der Applaus ebbte ab, als der goldene Vorhang sich zu heben begann. Wir wurden von einer nächtlichen Szene begrüßt. Ein leuchtender Vollmond, im Hintergrund der schwarze Himmel, und vor dem Mond zeichnete sich dieSilhouette eines Mädchens ab. Es begann langsam zu tanzen, während ein Scheinwerfer nach und nach eine männliche Gestalt auf der Bühne sichtbar werden ließ, die das Mädchen beobachtete und die Hand nach ihm ausstreckte.
    »Diesen Teil der Show hat Larry nicht unter Vertrag«, flüsterte Tammy Sue in mein rechtes Ohr.
    »Sieht aus wie Ballett«, flüsterte Fred in mein linkes. Wie auch immer. Es war bezaubernd. Und als die beiden aufeinander zu tanzten, um sich in die Arme zu schließen, war ich vollkommen aufgegangen in dem Tanz und überhaupt nicht
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