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Mörder Quote

Mörder Quote

Titel: Mörder Quote
Autoren: T Hermanns
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aufbesserte«. Ob er bei diesen Auftritten noch Nazilieder singen würde, fragte der Moderator natürlich ganz der harte Journalist nach, aber Uwe antwortete natürlich hart zurück, nämlich mit einem aufregenden »nein«.
    Fatima war gar nicht erschienen (sie war jetzt in Neukölln bei einer hippen Off-Bühne beschäftigt und lehnte TV ganz ab) und Mike D, der wegen dieses Fernsehauftrittes wieder mal Hafturlaub bekommen hatte, verkündete neben aufregenden Anekdoten aus dem deutschen Knastleben (»ist echt nicht viel los da«) die Veröffentlichung einer neuen Rap- CD mit dem Titel »Don’t diss the D« – sicher ein Highlight für alle Weihnachtsgeschenktische des Landes. Was für ein Haufen Trottel, dachte Tanja halb entspannt, halb verärgert, aber sehr klar nach ihrer Asien-Seelenkur. Und was für charismatische, ehemalige, potenzielle Pop-Superstars unserer Nation!
    Das brachte sie zu der Person, die auf der Couch ihr gegenübersaß, und das war nun wirklich die andere Seite der Medaille. Nicht nur, weil jede ihrer Äußerungen von schreienden Mädchen im Studiopublikum unterstrichen wurde, die alle genauso angezogen waren wie ihr Idol, sondern auch, weil da nun echte Starquality saß: Bescheiden, barfuß und durch keine Schleimerei des Moderators abzubringen von durchdacht druckreifen Äußerungen, zeigte Lilly/Lilliane nun der ganzen restlichen Runde, wie das ging: ein Star zu sein.
    Sie war freundlich, ohne sich anzubiedern, streng, wenn Marco irgendeinen Verdienst an ihrer Karriere kapern wollte (»Du hast mich doch immer nur runtergemacht. Ich war dir nie sexy Püppi genug«), und traurig, ohne tränenrührig zu sein an den Stellen, an denen es um die Opfer ging. Nur an der Stelle der Sendung, als ein Foto ihrer Mutter zusammen mit ihr eingeblendet wurde, es zeigte sie als Kind irgendwo an einem Strand im Urlaub, schien sie kurz aus dem Konzept zu kommen und starrte etwas zu lange ausdruckslos auf das Bild. Tanja spürte, dass die Lilly in Lilliane wieder hochkam und etwas von ihrer alten Machtlosigkeit sie zu überfallen schien.
    Aber dann verbat sich der Star Lilliane unter zustimmendem tobendem Applaus ihrer Fans weitere Bilder aus ihrem Privatleben und sagte klar und ruhig: »Das Ganze ist für mich abgeschlossen. Ich schaue nach vorn.«
    Als der Moderator nun zum Thema Pitterchen weitermoderierte und die schon bekannte MAZ mit seinen »schönsten« Gags und Stolpereien eingespielt wurde, wandten sich alle der großen Projektionswand zu. Tanjas Blick blieb dagegen an der immer noch sehr schmalen Lilly Helm hängen. Auch sie sah nicht zur Leinwand hinüber, sondern schien noch in Gedanken zu sein, vielleicht bei ihrer Mutter, vielleicht bei der Vergangenheit. Eine Maskenbildnerin zupfte an ihren Haaren herum, und der Popstar »Lilliane« scheuchte sie plötzlich heftig und deutlich weg – nur mit einer kleinen abrupten Handbewegung und einem kurzen bösen Blick. Dieser Blick und diese aggressive, herabsetzende Handbewegung passten so gar nicht zu dem sanften Sound ihrer Musik und ihrem Image, dachte Tanja. Und die Wut ging anscheinend nicht weg – zornig nestelte Lilly an den Knöpfen ihrer Second-Hand-Piratenjacke, als ob irgendetwas sie sehr stören würde, irgendein Dämon von früher. Schließlich riss sie einen Knopf ab. Und vielleicht war ja sogar Tanja selber der Dämon, denn auf einmal merkte Lilly, dass Tanjas Blick noch auf ihr ruhte und sie nicht unbeobachtet war. Aber anstatt wieder zurückzugleiten in das freundlich sanfte »Lilliane«-Wesen von vorhin, blieb ihr Blick aggressiv, ja, er steigerte sich noch weiter, während sie Tanja direkt in die Augen sah – zu purem kaltem Hass.
    Tanja fuhr dieser Blick direkt in die Seele. Noch nie hatte sie Lilly so gesehen, so verzerrt von Wut. Und jetzt kam noch ein zynisches Lächeln dazu, als ob sie zu Tanja sagen wollte: »Ich weiß genau, was du jetzt fühlst. Und du hast recht.« Und in diesem Moment begriff Tanja – nur ein einziger Mensch hatte von der ganzen Tragödie des letzten Jahres wirklich profitiert. Nur einer. Und dieser Mensch saß nun direkt vor ihr.

KAPITEL 47
    Es war sicher kein Zufall, dass Tanja und Lilly die Letzten waren, die nach dem Abkabeln ihrer Mikrofone durch den Tonmann allein beim Abschminken im Schminkraum übrig blieben. Und es war auch sicher kein Zufall, dass sie sich allein abschminkten, ohne Hilfe der Make-up-Damen, die von beiden schon nach Hause geschickt worden waren. Und es überraschte Tanja auch
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