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Mitternachtsflut

Mitternachtsflut

Titel: Mitternachtsflut
Autoren: Gabriele Ketterl
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verabschieden und zu sehen ob er noch etwas für sie tun könnte. In seiner Hand war ein großer weißer Umschlag mit einem roten Wachssiegel. „Er hat ein Testament hinterlassen. Ich bringe es jetzt sofort nach Santa Cruz zum Gericht. Vielleicht gibt es ja einen Verwandten. Wir müssen das schnellstmöglich herausfinden. Marie, Sie haben meine Telefonnummer. Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann, bitte rufen Sie mich sofort an. Zu jeder Zeit, ja? Ich weiß wie viel Sie Manolo bedeutet haben. Ich kann mir vorstellen, wie es jetzt in Ihnen aussehen muss.“ Als Don Jaime und seine Männer Masca verlassen hatten, erledigte Marie alles was getan werden musste, als ob sie ferngesteuert würde. Sie räumte ihre Tasche aus, legte die zwei geflochtenen Lederarmbänder die sie für Manolo und Miguelangel in Berlin gekauft hatte, wie kleine Heiligtümer auf ihre Küchenanrichte, goss ihre Blumen, zog alle Vorhänge zu, duschte sich und legte sich dann zu Bett. Dort weinte sie in ihr Kissen, bis es klatschnass von ihren Tränen war. Manolo!! Warum nur? Er hatte sie immer gewarnt. Warum starb ausgerechnet er in der Nacht der Mitternachtsflut? Warum? So viele Fragen und sie würde niemals eine Antwort erhalten.

Kapitel 18
    Marie hätte sich gewünscht, am nächsten Tag nicht zu erwachen. Aber leider war ihr das nicht vergönnt. Trotz zugezogener Vorhänge blitzte die Sonne ins Zimmer und weckte sie aus ihrem unruhigen Schlaf. Ihr Spiegelbild das sich ihr im Bad präsentierte, war grau und verquollen. Ihre Augen waren zu rotumrandeten Höhlen geworden. Marie stellte sich unter sie kalte Dusche und blieb dort erst einmal ein paar Minuten.
    Sie wollte nicht nach draußen, doch irgendwann würde ihr nichts anderes übrigbleiben. Als sie widerstrebend die Haustüre öffnete, stand davor ein Korb mit Lebensmitteln. Die gute, liebe Rosalia. Frisches Obst, Säfte, etwas Milch und ein wenig frisches Brot. Rosalia schien gut zu wissen was ein Magen, der sich anfühlte wie ein wunder Klumpen, in der Lage war zu verkraften. Marie ass eine frische Papaya und trank etwas Saft. Mehr traute sie ihrem Organismus derzeit nicht zu. Erst am Nachmittag schaffte sie es, hinüber in Manolos Patio zu gehen und seine Blumen zu gießen. Er hatte seine Blumen immer so sehr geliebt. Schon wieder kamen ihr die Tränen und so beeilte sie sich, wieder in ihre vier Wände zu kommen, die sie wie ein Schutzschild umschlossen. Sie sperrte Licht und Sonne aus, setzte sich mit angezogenen Beinen auf ihr Sofa und versuchte sich darüber klar zu werden, was jetzt geschehen sollte. Mit dem Tod von Manolo war nicht nur einer der wichtigsten Teile ihres Lebens plötzlich verschwunden.
    Nein, mit ihm war auch die einzige Verbindung zu Miguelangel gestorben. Wenn sie daran dachte, dass sie ihn nie wiedersehen würde, krampfte sich ihr Herz noch mehr zusammen. Sie hatte immer geglaubt, der Ausdruck „Hoffnungslosigkeit“ sei ein antiquierter Ausdruck – doch jetzt wusste sie haargenau was er beschrieb. Zwei Tage lang verließ Marie das Haus nur, um sich um die Blumen zu kümmern. Jeden Morgen stand der Korb mit Essen vor ihrer Türe und Rosalia sorgte dafür, dass es ihr an nichts fehlte. Niemand störte sie in ihrer Trauer, man ließ sie einfach nur in Ruhe. Das Handy klingelte mehrmals, doch Marie hatte ihren Anrufbeantworter neu besprochen: „Wegen eines Todesfalles in der Familie, bin ich derzeit und bis auf Weiteres nicht zu erreichen. Ich danke für Ihr Verständnis:“ Damit war alles gesagt.
    Am dritten Morgen gab sie sich endlich einen Ruck. Irgendwann musste sie sich den Tatsachen stellen. Sie musste Masca verlassen. Falls Don Jaime tatsächlich irgendwo entfernte Verwandte finden sollte, was eigentlich unmöglich war, würden sie das Haus beanspruchen. Marie war klar, dass sie es nicht würde ertragen können, fremde Menschen in Manolos Heim zu sehen. Angesichts der ausweglosen Situation, sah sie keine andere Lösung. Vorerst würde sie wohl irgendwo in die Nähe von Puerto ziehen. Sollte der Schmerz gar nicht nachlassen, dann war es wohl an der Zeit ihren Traum aufzugeben und Teneriffa zu verlassen.
    Gleich am nächsten Tag würde sie den immer verständnisvollen Humberto anrufen und ihn bitten, ihr bei der Suche nach einer Wohnung zu helfen. Ihr war durchaus bewusst, dass inzwischen alle über das Drama das sich hier abgespielt hatte, im Bilde waren. Da sie die Dinge, die sie sich vorgenommen hatte, gerne rasch in Angriff nahm, begann sie sofort damit
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