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Mitternachtsflut

Mitternachtsflut

Titel: Mitternachtsflut
Autoren: Gabriele Ketterl
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er nicht so weit. Noch war der letzte Beweis nicht erbracht. Er musste sich an die Gesetze der Ahnen halten. Schwur war Schwur! Als er am Fenster war, konnte er nicht anders und sah noch einmal zu ihr zurück. Dort lag sie, die, ohne die er nie leben wollte. Sie war so schön wie er sie noch immer vor Augen hatte. Die Geister der Ahnen waren gnädig!

Kapitel 2
     
    An diesem Mittag waren die Wellen besonders hoch. Die Ausläufer leckten gierig an den scharfkantigen, schwarzen Felsen. Der Lavasand färbte die Wellenkämme dunkelgrau und verstärkte zusätzlich das bedrohliche Aussehen der wütend tobenden Naturgewalten. Marie war nun wahrlich kein ängstlicher Typ, doch angesichts dieser mächtigen, bedrohlich anmutenden Kräfte, legte sie ihr Badetuch weiter vom Ufer ab, als ursprünglich beabsichtigt. Der Wind wehte ihr nicht nur feine Tröpfchen Salzwasser ins Gesicht, sondern sorgte auch dafür, dass dieses Wasser sich in der Luft mit Lavastaub vereinigte und ihre langen, mittlerweile feuchten Haare langsam einem Reisigbesen ähnelten. Ärgerlich versuchte Marie ihre Mähne einigermaßen in den Griff zu bekommen, gab sich aber nach einer Weile geschlagen. Hier unten an dem einsamen und unzugänglichen Strand, den man nur über das versteckte Dorf erreichen konnte, sah sie sowieso niemand. Hier unten war niemand außer den wenigen verbliebenen Hippies, die ihr Aussteigerdasein in den diversen kleinen Höhlen zelebrierten. Verglichen mit denen, sah sie auch jetzt noch aus wie ein Topmodel frisch vom Laufsteg. Eigentlich wollte sie schwimmen, nur darum war sie den engen, beschwerlichen Weg durch die kleine Schlucht nach unten gelaufen. Doch das hier war sogar ihr unheimlich. Der Atlantik tobte sich heute nach allen Regeln der Kunst aus und machte selbst das Sonnenbad nicht zu einem Vergnügen. Marie legte seufzend das Buch, welches sie eigentlich lesen wollte, wieder zurück in ihre Tasche, setzte sich aufrecht hin und ließ ihren Blick über den aufgewühlten Ozean wandern. Sogar dieses wüste Wetter übte auf sie eine nahezu magische Faszination aus. Der unvergleichliche, salzige Geruch des Meeres, die schwarzen, wilden Lavafelsen, die jedes Mal wenn das Wasser sie überspült hatte, glänzten wie frisch lackiert, der kräftige Wind und die heiße Sonne – all dies liebte sie aus ganzem Herzen.
    Die Natur war mit einer der Hauptgründe gewesen, warum sie mit ihren gerade 28 Jahren alle Zelte in Deutschland abgebrochen hatte. Sie war nach Teneriffa gekommen, weil sie musste. Sie hörte einfach auf ihr Herz. Schon immer war ihr die Kanareninsel mehr Heimat gewesen als das bodenständige Deutschland. Finanziell hatte ihre Entscheidung für sie keinerlei negative Folgen. Im Gegenteil, nach wie vor flog sie durch die Weltgeschichte und machte ihre Food Bilder für Werbekampagnen in ganz Europa. Ihre Fotos waren Kunstwerke, sie hauchte Früchten eigenes Leben ein oder verwandelte einen einfachen Brotlaib in ein „Must Have“. Mit ihren Bildern in der Kampagne waren die Verkaufszahlen nahezu exorbitant, das wussten auch ihre Kunden und zahlten gerne den etwas längeren „Anfahrtsweg“. Jetzt aber hätte sie sich gerne etwas entspannt.
    Die letzten Tage waren lang und anstrengend gewesen und sie war erst am gestrigen Vormittag von einem langen Shooting auf den Kapverden zurück gekommen. Ihr war jetzt einfach nach Ruhe und Seele baumeln lassen und dazu gehörte für Marie das Schwimmen. Sie stemmte sich gegen den stürmischen Wind in die Höhe und lief, obwohl sie es eigentlich besser wusste, ans Ufer. Sie war nass, bevor sie das Ende der Klippe überhaupt erreicht hatte. Vorsichtig spähte sie über den Rand, doch bei aller Liebe zum Abenteuer, die weißen Schaumkronen mit ihren grauen Lavatoppings luden wahrlich nicht zum erholsamen Bad, auch wenn das Wasser sie wie immer lockte. Bevor sie jetzt gänzlich zur Salzsäule erstarrte, packte sie ihre Sachen zusammen und machte sich leise seufzend auf den Weg zurück. Schon nach wenigen Minuten kamen in den Felsschluchten am Hang die ersten Häuschen in Sicht. Zuerst noch klein und unauffällig, doch je näher sie kam, desto deutlicher zeichneten sich die hübschen weißen Häuser mit den grünen, braunen und blauen Fensterläden und ihren kleinen hölzernen Balkonen in den Hängen ab. Warum es sie letztendlich ausgerechnet in diese verlassene Gegend verschlagen hatte? Marie konnte es beim besten Willen nicht erklären. Es war wie ein Zauber gewesen. Sie erinnerte sich
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