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Mitteilungsheft - Leider hat Lukas

Mitteilungsheft - Leider hat Lukas

Titel: Mitteilungsheft - Leider hat Lukas
Autoren: Niki Glattauer
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herübergebrüllt:
    –  Kannst du bitte leise sein, Mutter! Ich will schlafen, fuck!
    –  Sag das deinem Vater! Ich bin leise!
    –  Sei leise, Vater!
    –  Ich bin leise. Und gewöhn dir ab, fuck zu sagen. Erstens ist es ein grausliches Wort, und zweitens kriegen wir dann wieder einen Anruf von deinem Religionslehrer.
    –  Religionslehrer?
    –  Idebski. Oder wie der heißt.
    –  Der Izdebski! Der war in der Volksschule! F…! Bei uns gibt es gar keinen männlichen Lehrer, auch keinen Religionslehrer. Bei uns ist sogar der Islamlehrer eine Frau.
Und ich geh seit zwei Jahren nicht mehr in Reli !
Was wisst ihr eigentlich?
    Nach Mittwoch weiß ich alles. Bin schon gespannt, wie das wird. Ich werde das blaue Sakko anziehen. Blau schafft Vertrauen.



2
C:\Users\Walter\Dokumente\LukasSchule\TagebuchadMitteilungsheft
Sonntag, 10. 10.
    „Wenn es Ihnen recht ist, werde ich am Mittwoch bei Ihnen erscheinen.“ Erscheinen! Habe ich das wirklich geschrieben? Mein Gott, Walter, da hast du ja eine hübsche Schleimspur gezogen. Aber was soll’s, du hast es für Lukas getan, für den würdest du noch ganz andere Sachen tun. Für Laura sowieso. Aber die braucht noch nicht viel. Die sagt noch Mami und Papi, zeigt brav auf, wenn sie etwas sagen will, und ist, wenn sie in der Früh aufsteht, neun von zehn Mal gut aufgelegt. Denn zwischen einem 9-jährigen Kind und einem 13-jährigen Kind liegen nicht vier Jahre, das will einen nur die Mathematik glauben machen, zwischen einem 9-jährigen Kind und einem 13-jährigen Kind liegen mindestens zehn Jahre. Mit 13 ist man offensichtlich dauersauer. Was im Fall von Lukas schon beim Aufstehen beginnt und letztlich eh auch wieder kein Wunder ist, wenn du jeden Tag bereits 0:3 im Rückstand liegst, bevor das Spiel überhaupt begonnen hat. Und Lukas hat zwar ein paar Kilos zu viel, aber eine dicke Haut hat er deswegen trotzdem nicht. Englisch – spanische Dörfer für ihn. Mathe – spanische Dörfer. Geometrie – Dörfer auf dem Mars. Lukas ist kein Sportler, Lukas ist kein Mathematiker, Lukas wird in diesem Leben auch nicht Architektur studieren, und wenn sich das Bine hundertmal von ihm wünscht.
    –  Glaub mir, Schatz, er muss als Architekt nicht gut zeichnen können. Vergiss Zeichnen. Das kommt später von allein. Er muss Ideen haben. Und Lukas hat Ideen. Er muss einen Blick für die Welt haben. Und Lukas hat einen Blick. Stimmt’s, Lukas?
    –  Ich weiß nicht, was du meinst, Mutter.
    –  Sag nicht Mutter, das mag ich nicht.
Findest du es zum Beispiel gut, dass das städtische Straßenbild überall von Autos dominiert wird? Von hässlichen, stinkenden, lärmenden und auch noch die Umwelt belastenden Blechdingern, von denen jedes 20 Quadratmeter Platz braucht und nach jedem Halt eineinhalb Tonnen Eigengewicht in Bewegung setzen muss, nur um eine Person von sagen wir 80 Kilo von A nach B zu befördern?
    –  Aha. Und wie kommt diese Person sonst von A nach B?
    –  Mit Öffis? Mit der U-Bahn? Mit der Straßenbahn, mit dem Bus? Öffis sind effizient, vergleichsweise sauber und erlauben ein ästhetisches Stadtbild. Straßen, Plätze, Hausfassaden, Menschen: All das wäre wieder sichtbar, wenn wir die Autos aus der Stadt verbannen würden. Autos sind scheiße. Aut…
    –  Und wieso haben wir dann zwei?
    Um ehrlich zu sein: Ich habe null Ahnung, wofür Lukas talentiert ist. Dabei sollst du als Eltern schon in der Volksschule die Weichen stellen. Jetzt wieder bei Laura. Die Lehrerin am Elternabend zum vollzählig versammelten Publikum: „Fangen Sie damit an, die Weichen zu stellen. Achten Sie darauf, ob Ihr Kind eher sprachlich oder naturwissenschaftlich begabt ist.“ Ich dachte ja lange Zeit, der nächste Satz würde so lauten: „Danach entscheiden Sie, ob Sie es in eine neusprachliche oder naturwissenschaftliche Schule geben.“ Inzwischen weiß ich, wie der nächste Satz wirklich geht: „Sollte das der Fall sein, dann geben Sie es ins Gymnasium .“ Falls ein Kind nämlich irgendwo begabt ist, egal wo, gibt man es heutzutage auf ein Gymnasium. Falls es hochbegabt ist, auf das Hochbegabten-Gymnasium.
    Lukas haben wir, als es so weit war, ins Normalbegabten-Gymnasium gegeben. Ich meine, trotz: „Achten Sie darauf, ob Ihr Kind eher sprachlich oder …“ Schwer darauf geachtet, leider keine Begabung erkannt, trotzdem Gymnasium. Und jetzt heißt es Durchkommen . Aber das war immer schon so. Gezählt hat immer schon nur eines: Durchkommen. Das war früher nicht
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