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Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Titel: Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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stellt
sich auf Deine Bezugsperson ein, die es sofort auf das Über-Ich — oder ist es den Über-ich? — abwälzt, ohne daß Du den geringsten Objektverlust erleidest. Du
mußt nur rechtzeitig beginnen, Deine Aggressionen zu sublimieren — wozu ich Dir
ohnehin raten würde — , so daß das Es alles wie hinter einer Schallmauer
— nicht zu verwechseln mit einer Schandmauer — mithört. Dann aber — so rate ich
Dir — gib’s ihm gehörig. Denn eine solche Gelegenheit bietet sich selten im
Leben — allerdings, wenn überhaupt, dann ausschließlich im Leben.
     
    Geben sei seliger denn Nehmen,
so heißt es in der Apostelgeschichte des Lukas. Ich finde ja, ehrlich gesagt,
daß das Gegenteil der Fall ist, aber es hängt natürlich davon ab, wie man das
Wort selig zu deuten beliebt. Wenn es soviel wie glücklich bedeutet, so kann ich für mich selbst nur sagen, daß ich seliger wäre, eine
Million zu nehmen als sie zu geben, was mich überdies wahrscheinlich in größere
Schulden stürzen würde, so daß ich gezwungen wäre, bei der Bank einen
langfristigen Kredit aufzunehmen, der mit einer achtprozentigen Hypothek,
gestützt durch kurzfristige Anleihen, und, da der Zinsabbau bei der
Aktienbörse, der nach dem Dow-Jones-Index bei fünfzehn Prozent auf
neunhunderteinundneunzig Punkte ansteigen würde, nicht eben freundlich ist,
durch einige mündelsichere Pfandbriefe garantiert werden müßte. Möglicherweise
aber ist in dieser Rechnung auch ein Fehler, ich bin kein wirklicher Experte
auf diesem Gebiet. Unter uns: ich weiß noch nicht einmal, wie man einen
Pfandbrief schreibt, und einen mündelsicheren schon ganz und gar nicht. Sage es
aber bitte nicht weiter, es brächte mich in Verruf. Eine Sparkasse ist für mich
so etwas wie ein Tscherkesse, und was eine Raiffeisenkasse ist, wage ich nicht
zu denken, es erinnert mich an ein mittelalterliches Foltergerät. Ich weiß nur,
daß Haben besser ist als Sollen. Wenn Du das noch nicht wußtest,
solltest Du es Dir merken und entsprechend handeln, also lieber nehmen als
geben. Jedenfalls solltest Du den Rat eines Fachmannes beherzigen, wenn Du weißt,
wie man beherzigt.
    Bedeutet das Wort selig aber seligmachend im religiösen Sinne, so muß ich mich über die krasse
Unmoral dieser Behauptung wundern. Denn indem ich gebe, mache ich den, dem ich
gebe, zum Nehmer und beraube ihn damit seiner Seligkeit, zumindest auf dem
Gebiet der Besitzverhältnisse und damit natürlich der Liquidität — ob er den
Verlust auf andere Arten wettmachen kann, weiß ich nicht, dazu kenne ich ihn zu
wenig —, ich handle also sehr egoistisch, um mir meine Seligkeit zu erkaufen, es
sei denn, ich wäre sicher, daß auch der Nehmer die Behauptung im ethischen
Sinne auszulegen bereit ist und die Gabe sofort weitergibt, um einen anderen,
dessen strenge Prinzipien er kennt, zum Nehmer zu machen, selbstverständlich
ohne Nutzen aus der Gabe zu ziehen, damit er seiner Seligkeit teilhaftig
werde. Aber auch dieser neue Nehmer legt Wert auf seine Seligkeit und überweist
die Summe auf das Konto eines Dritten, der sie, christlich wie er ist, an einen
Vierten weitergibt, der nun aber auch nicht gewillt ist, auf seine Seligkeit zu
verzichten, und daher die Summe, inzwischen wohl oder übel durch Zinsen
erheblich vermehrt, auf das Konto eines Fünften überträgt, und so weiter, bis
es irgendeinem, dem seine Seligkeit egal ist, beliebt, das Geld zu behalten,
und er es bei lockerem Lebenswandel vergeudet oder, wenn man so will, verpraßt.
Wem also seine Seligkeit etwas bedeutet — und da gibt es mehr, als man
gemeinhin annehmen möchte! —, der werfe die Gabe rasch von sich, etwa wie ein
heißes Eisen, oder schütte sie ins Meer, wie in Brasilien den Kaffee. Aber
darüber steht bei den Aposteln nichts, es gab auch damals noch keinen Kaffee.
Jedenfalls ist es immer besser, leicht zu reisen, ohne Last oder Ballast, ohne
Stein auf dem Herzen oder in der Niere oder im Brett, ohne Brett vor dem Kopf,
vor allem keinem aus Kerbholz, ohne Kopf in der Schlinge oder in den Wolken,
ohne Zacken in der Krone, vor allem aber ohne Umschweife, deren Schädlichkeit
meist zu spät erkannt wird, weshalb man beim ersten Symptom den Arzt aufsuchen
sollte.
     
    Ich wäre gern ein anderer
geworden, Du auch? Aber damit hätten wir früher beginnen müssen, jetzt ist es
zu spät. Nicht so übel wäre es auch, gar nicht erst geboren zu sein, aber das
kommt immer seltener vor, ich könnte Dir da kaum irgendwelche Fälle nennen,
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