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Mit offenen Karten

Mit offenen Karten

Titel: Mit offenen Karten
Autoren: Agatha Christie
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sagte er, als er sich verabschiedete.
    Poirot schüttelte nachdenklich den Kopf. Der Doktor hatte die Situation missverstanden. Es war nicht Reue, die Mrs Lorrimer zum Selbstmord getrieben hatte.
    Auf seinem Weg nach oben blieb er stehen, um dem ältlichen Stubenmädchen, das still vor sich hin weinte, ein paar tröstende Worte zu sagen.
    «Es ist so schrecklich, Sir. So entsetzlich. Wir haben sie alle so lieb gehabt. Und Sie haben erst gestern so ruhig und gemütlich mit ihr Tee getrunken. Und heute ist sie fort. Ich werde diesen Morgen nie vergessen – nie, solange ich lebe. Der Herr läutete Sturm. Er läutete dreimal, ehe ich die Tür erreichen konnte. ‹Wo ist Ihre Herrin?›, fuhr er mich an. Ich war so aufgeregt, dass ich kaum antworten konnte. Wissen Sie, wir sind nie zu ihr hineingegangen, ehe sie klingelte, das war ihr Wunsch. Und ich konnte einfach kein Wort herausbringen. Und der Doktor schreit: ‹Wo ist ihr Zimmer?› und rennt die Stufen hinauf und ich hinter ihm drein, wirft einen Blick auf sie, wie sie daliegt, und sagt: ‹Zu spät.› Sie war schon tot, Sir. Aber er schickte mich um Branntwein und heißes Wasser, und er machte verzweifelte Versuche, sie wieder ins Leben zurückzubringen, aber es war nichts mehr zu machen. Und dann kam die Polizei und alles – es ist nicht – es gehört sich nicht, Sir. Mrs Lorrimer hätte es nicht gemocht. Und warum die Polizei? Es geht sie sicher nichts an, sogar wenn ein Unglücksfall geschehen ist und meine arme Herrin irrtümlich ein zu starkes Schlafmittel genommen hat.»
    Poirot ließ ihre Frage unbeantwortet.
    «War Mrs Lorrimer gestern Abend wie immer? Erschien sie Ihnen nicht aufgeregt oder deprimiert?»
    «Nein, das könnte ich nicht behaupten. Sie war müde – und – ich glaube, sie hatte Schmerzen. Es ging ihr in letzter Zeit nicht gut, Sir.»
    «Ja, ich weiß.»
    Die Teilnahme in seiner Stimme ließ die Frau fortfahren.
    «Sie hat nie geklagt, Sir. Aber wir, die Köchin und ich, haben uns schon einige Zeit Sorgen um sie gemacht. Sie konnte nicht mehr so viel unternehmen wie früher, und alles hat sie ermüdet. Vielleicht hat die junge Dame, die nach Ihnen zu Besuch kam, sie zu sehr in Anspruch genommen.»
    Mit dem Fuß auf der Treppe kehrte Poirot wieder um. «Die junge Dame? War noch eine junge Dame gestern Abend hier?»
    «Ja, Sir, sie kam gerade, nachdem Sie fortgegangen waren. Sie hieß Miss Meredith.»
    «Blieb sie lange?»
    «Ungefähr eine Stunde, Sir.»
    Poirot schwieg eine Weile, dann sagte er:
    «Und nachher?»
    «Nachher ging die Herrin zu Bett und aß auch im Bett zu Abend. Sie sagte, sie sei müde.»
    «Wissen Sie, ob Mrs Lorrimer gestern Abend irgendwelche Briefe geschrieben hat?»
    «Meinen Sie, nachdem sie zu Bett gegangen war? Ich glaube nicht, Sir.»
    «Aber Sie sind sich nicht sicher?»
    «Es lagen einige Briefe zum Wegschicken auf dem Vorzimmertisch, Sir. Aber ich glaube, sie lagen schon früher am Tag da.»
    «Wie viele waren es?»
    «Zwei oder drei. Ich bin nicht ganz sicher, Sir.»
    «Sie oder die Köchin – wer immer die Briefe aufgab – haben nicht zufällig gelesen, an wen sie adressiert waren? Verzeihen Sie meine Frage, aber die Angelegenheit ist von größter Wichtigkeit.»
    «Ich selbst habe die Briefe zur Post gebracht. Ich habe die Adresse des obersten bemerkt – er war an Fortnum & Mason’s. Was die anderen betrifft, so weiß ich es nicht.»
    Was die Frau sagte, klang ernst und aufrichtig.
    «Sind Sie sicher, dass es nicht mehr als drei Briefe waren?»
    «Ja, ganz sicher.»
    Poirot nickte ernst mit dem Kopf. Wieder im Begriff, die Treppe hinaufzugehen, sagte er:
    «Ich nehme an, Sie wussten, dass Mrs Lorrimer Schlafmittel nahm?»
    «O ja, Sir, der Arzt hatte sie ihr verordnet, Dr. Lang.»
    «Wo wurde dieses Schlafmittel aufbewahrt?»
    «Im Schränkchen im Schlafzimmer.»
    Poirot stellte keine weiteren Fragen. Er ging hinauf. Sein Gesicht war todernst.
    Auf dem oberen Treppenabsatz begrüßte ihn Battle. Der Superintendent sah nervös und besorgt aus.
    «Ich bin froh, dass Sie gekommen sind, Monsieur Poirot. Darf ich Sie mit Dr. Davidson bekannt machen.»
    Der Bezirksarzt schüttelte Poirot die Hand. Er war ein großer, melancholisch aussehender Mann.
    «Wir hatten kein Glück», sagte er, «ein oder zwei Stunden früher, und wir hätten sie noch retten können.»
    «Hm», meinte Battle, «ich darf es offiziell nicht zugeben, aber ich bin nicht unglücklich darüber. Sie war, nun, sie war eine Dame. Ich weiß
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