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Mit offenen Karten

Mit offenen Karten

Titel: Mit offenen Karten
Autoren: Agatha Christie
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fantastischen Bogen.
    «Ich könnte Ihnen sogar Dinge aus Ihrem eigenen Fach zeigen, Monsieur Poirot.»
    «Haben Sie denn ein privates ‹Gruselkabinett›?»
    «Bah!» Mr Shaitana schnappte verächtlich mit den Fingern. «Die Schale, aus der der Mörder von Brighton trank, das Brecheisen eines berühmten Einbrechers – lächerliche Kindereien! Ich würde mich nie mit solchem Kram belasten. Ich sammle nur die besten Dinge jedes Genres.»
    «Und was halten Sie, vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet, für die besten Objekte in der Kriminalistik?», erkundigte sich Poirot.
    Mr Shaitana beugte sich vor und legte zwei Finger auf Poirots Schulter. Er zischte die Worte dramatisch hervor. «Die menschlichen Wesen, die die Verbrechen begehen, Monsieur Poirot.»
    Poirot zog die Augenbrauen eine Spur empor.
    «Aha, ich habe Sie verblüfft», stellte Mr Shaitana mit Genugtuung fest. «Mein Verehrtester, Sie und ich, wir betrachten diese Dinge von entgegengesetzten Polen! Für Sie ist ein Verbrechen alltägliche Routine: Ein Mord, eine Untersuchung, ein Anhaltspunkt und schließlich – denn Sie sind ein sehr fähiger Mann – eine Überführung. Solche Banalitäten würden mich nicht interessieren! Ich interessiere mich nicht für Zweitklassiges. Und ein Mörder, der gefasst wird, ist eben darum ein Versager. Er ist zweitklassig. Nein, ich betrachte die Sache vom künstlerischen Standpunkt aus. Ich sammle nur das Beste!»
    «Und das Beste ist?», fragte Poirot.
    «Mein Lieber jene, die entwischt sind! Die Erfolgreichen! Jene Verbrecher, die ein angenehmes Leben führen und die kein Hauch eines Verdachtes je berührt hat. Sie müssen zugeben, dass das ein amüsantes Steckenpferd ist.»
    «Ich hatte ein anderes Wort im Sinn – nicht ‹amüsant›.»
    Shaitana überhörte Poirots Bemerkung und rief: «Ich habe eine Idee! Ein kleines Diner! Ein Diner, um meine Ausstellungsstücke zu treffen! Das ist wirklich ein höchst amüsanter Einfall. Ja – ja, ich sehe alles – ich sehe es genau vor mir… Sie müssen mir ein wenig Zeit lassen – nicht nächste Woche – sagen wir übernächste Woche. Sind Sie frei? Bestimmen wir den Tag.»
    «Jeder Tag der übernächsten Woche würde mir zusagen», erwiderte Poirot mit einer Verbeugung.
    «Gut – dann sagen wir also Freitag. Das ist der 18. Ich werde es sofort in mein Notizbuch eintragen. Die Idee gefällt mir großartig.»
    «Ich weiß nicht, ob sie mir so gut gefällt», meinte Poirot langsam. «Das soll nicht heißen, dass ich Ihre liebenswürdige Einladung nicht zu schätzen weiß – nein – nicht das…»
    Shaitana unterbrach ihn.
    «Aber es schockiert Ihr bourgeoises Zartgefühl? Mein lieber Freund, Sie müssen sich von dieser beschränkten Polizeimentalität befreien.»
    «Es stimmt, dass meine Einstellung zum Mord völlig bü r gerlich ist.»
    «Aber warum, mein Lieber? Eine stupide, stümperhafte, grausame Angelegenheit – zugegeben. Aber Mord kann eine Kunst sein. Ein Mörder kann ein Künstler sein.»
    «Gewiss.»
    «Nun, und?», hakte Mr Shaitana nach.
    «Aber darum bleibt er doch ein Mörder!»
    «Aber eine Sache vollendet ausführen, ist doch eine Rechtfertigung, mein lieber Monsieur Poirot! Sie wollen ohne jede Fantasie jeden Mörder festnehmen, fesseln, einsperren und ihm eventuell in den frühen Morgenstunden das Genick brechen. Meiner Meinung nach sollte ein wirklich erfolgreicher Mörder von Staats wegen pensioniert und zum Diner eingeladen werden!»
    Poirot zuckte die Achseln.
    «Ich bin für die künstlerische Note eines Verbrechens nicht so unsensibel wie sie glauben. Ich kann den vollendeten Mörder bewundern – ich kann auch einen Tiger bewundern, dieses herrliche gelb gestreifte Tier. Aber ich bewundere ihn von außerhalb der Gitterstäbe. Ich gehe nicht in den Käfig hinein. Das heißt, es sei denn meine Pflicht. Denn, sehen Sie, Mr Shaitana, der Tiger könnte zum Sprung ansetzen…»
    Mr Shaitana lachte.
    «Ich verstehe. Und der Mörder?»
    «Könnte morden», sagte Poirot ernsthaft.
    «Mein Lieber – was für ein Pessimist Sie sind! Also dann wollen Sie nicht kommen, meine Sammlung von – Tigern zu sehen?»
    «Im Gegenteil, ich werde entzückt sein.»
    «Wie tapfer!»
    «Sie missverstehen mich, Mr Shaitana. Meine Worte sollten eine Warnung sein. Sie wollten eben, ich sollte zugeben, dass Ihre Idee einer Mördersammlung amüsant sei. Ich sagte, mir fiele ein anderes Wort ein als ‹amüsant› und zwar das Wort ‹gefährlich›. Ich glaube, Mr
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