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Mit Herz und Skalpell

Mit Herz und Skalpell

Titel: Mit Herz und Skalpell
Autoren: Julia Schoening
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atmete tief ein und stieß die Luft dann langsam wieder aus. Dieses Gespräch hatte sie die ganze Zeit vermeiden wollen.
    »Wie ist es an einer Uniklinik so?«
    »Wahrscheinlich wie es an jeder anderen Klinik am ersten Tag auch gewesen wäre.« Lindas Antwort kam giftiger als beabsichtigt.
    Ihr Vater ignorierte das und fragte weiter: »Was hast du denn heute den ganzen Tag so gemacht? Schon operiert?«
    Natürlich, sie hatte an ihrem ersten Tag schon allein eine große Magen-OP durchgeführt. Lindas Hand krallte sich in der Sessellehne fest. Was dachte ihr Vater denn? »Ich habe erst einmal die Station kennengelernt. Ich bin zunächst in der Tumorchirurgie eingesetzt. Und nächste Woche darf ich dann wahrscheinlich auch mal im OP assistieren.«
    »Tumorchirurgie. Krebspatienten.« Ihr Vater seufzte. »Ob das das Richtige für dich ist?«
    »Ich weiß, dass du davon nichts hältst. Aber es gibt auch noch etwas anderes als Neurochirurgie.« Linda fühlte, wie sich ihre Kiefermuskeln anspannten. »Du solltest dich damit abfinden, dass ich nicht in deine Fußstapfen treten werde.«
    »Überleg es dir. Wenn du erst mal merkst, wie langweilig Viszeralchirurgie ist . . .«
    »Vergiss es«, fiel Linda ihm ins Wort. »Ich werde weder Neurochirurgin werden noch eine wissenschaftliche Karriere machen.«
    »Ja, ja«, erwiderte ihr Vater nur. Seinem Tonfall konnte Linda entnehmen, dass er ihre Antwort mal wieder nur für eine Spinnerei hielt. »Den Zahn werden dir deine Oberärzte und der Chef schon noch ziehen.«
    »Ich glaube, ich werde mit ihnen gut auskommen«, entgegnete Linda patzig.
    »Warten wir es ab«, sagte ihr Vater, deutlich hörbar von der Richtigkeit seiner Worte überzeugt.
    Linda gab auf. »Ich muss gleich los zum Hockeytraining«, sagte sie, um das Gespräch zu beenden. Eigentlich wusste sie in diesem Moment nicht, ob sie sich wirklich zum Training aufraffen konnte. Aber sie hatte auch keine Lust, länger mit ihren Eltern zu reden.
    »Dann mach dir noch einen schönen Abend«, verabschiedete sich ihr Vater.
    »Danke. Das werde ich.«
~*~*~*~
    A lexandras Augen brannten. Vor ihr auf dem Schreibtisch lag ein Stapel Entlassungsbriefe, von ihren unzähligen Korrekturen und Änderungen geradezu entstellt. Eigentlich konnte es nicht so schwer sein, einen vernünftigen Brief zustande zu bringen, aber das, was ihre Assistenten ablieferten, grenzte teilweise an eine Beleidigung.
    Sie lehnte sich für einen Moment in ihrem Stuhl zurück und rieb sich über die geschlossenen Lider. Immer wieder drückte sie auf den Knopf des Kugelschreibers und lauschte dem gleichmäßigen Klicken, mit dem die Mine heraus- und wieder hineinsprang. Ob ihre Mitarbeiter überhaupt verstanden, was sie hier tagein, tagaus machten? Wenn Alexandra las, was sie schrieben, zweifelte sie daran.
    Es klopfte. »Alexandra?«, drang eine Männerstimme durch die verschlossene Tür.
    Alexandra richtete sich wieder auf und strich ihre Bluse glatt. »Ja?«
    Die Tür öffnete sich, und der Leitende Oberarzt Rainer Strobel betrat das Büro. »Ich habe mir schon gedacht, dass ich dich noch hier finde. Wie immer fleißig.«
    »Oh, hallo, Rainer. Setz dich doch. Möchtest du einen Kaffee?« Ohne die Antwort abzuwarten, drehte sich Alexandra zu ihrem Kaffeeautomaten um und stellte ihn an. Schon bald erfüllte ein angenehmer Duft den Raum.
    Rainer Strobel hängte seinen Kittel an einen Haken und nahm Alexandra gegenüber Platz.
    »Was verschafft mir denn die Ehre deines Besuchs?«, erkundigte sich Alexandra, während sie die Kaffeetasse vor dem Leitenden Oberarzt abstellte.
    Rainer rückte seine Krawatte zurecht. »Ich wollte dir etwas Wichtiges mitteilen.« Er räusperte sich. »Und du solltest – nach dem Chef – die Erste sein, die es erfährt.«
    Alexandra hob fragend eine Augenbraue. »Aha? Jetzt bin ich aber gespannt.«
    Rainer fuhr sich mit der Hand durch die kurzen grauen Haare, bevor er verkündete: »Meine Zeit ist Ende Juni abgelaufen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich werde in Rente gehen. Meine letzten Arbeitstage sind gezählt.« Er nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.
    Alexandras Finger klopften rhythmisch auf die Tischplatte. Aber ihr Gesicht zeigte keine Regung, als sie sagte: »Das ist wirklich eine Überraschung. Für mich warst du immer so etwas wie Inventar hier.«
    Rainer lachte. »Genau deswegen gehe ich auch, weil ich schon viel zu viele Jahre hier bin. Jetzt reicht es.« Er wurde wieder ernst. »Du weißt aber auch, was das
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