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Mit Herz und Skalpell

Mit Herz und Skalpell

Titel: Mit Herz und Skalpell
Autoren: Julia Schoening
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Dabei war es das absolut Selbstverständlichste, dass man vor einer Operation Blut abnahm, schon allein um die Gerinnungswerte zu prüfen. Kein Chirurg wollte ein Blutbad anrichten, nur weil eine Assistenzärztin vergessen hatte zu kontrollieren, ob der Patient ein Problem mit der Gerinnung hatte. »Ich wollte das gleich machen«, log Linda, und sie hätte wetten können, dass Alexandra das sofort durchschaute. Aber Alexandra sagte nichts, sondern nickte nur.
    Erst als sie wieder draußen auf dem Flur standen, explodierte sie. »Es kann nicht dein Ernst sein, dass es noch kein Labor gibt. Du weißt, wie spät es ist? Die Operationen für morgen sind längst fest eingeplant. Willst du sie etwa morgen früh absagen, wenn die Patientin nicht operationsfähig ist? Dir ist bewusst, dass dann jemand anders, der stattdessen auf dem Tisch hätte liegen können, nicht drankommt?« Ihre Stimme überschlug sich beinahe.
    Linda starrte auf den Boden. »Ich habe es einfach vergessen«, gab sie zu.
    »Wie kann man so etwas Essentielles vergessen?«, fauchte Alexandra. »Das weiß jeder Student.« Dann holte sie tief Luft. »Egal. Hol das jetzt gleich nach – und dann hoffen wir, dass alles in Ordnung ist. Ist ja auch ziemlich viel Neues, was an den ersten Tagen alles auf einen einstürmt.« Sie legte Linda eine Hand auf die Schulter.
    Linda versuchte zu lächeln, aber ihr war eher nach Heulen zumute. Sie kam gar nicht dazu, sich über Alexandras plötzliche Besänftigung zu wundern. Heute vermasselte sie wirklich alles.
    Sie sahen sich noch die anderen beiden Patienten an. Auch wenn es bei ihnen deutlich besser lief, war Linda froh, als die Visite beendet war.
    Alexandra drückte den Knopf am Aufzug. »Du weißt, was du jetzt zu tun hast«, sagte sie dabei. »Blut abnehmen bei Frau Kuzorra, die Vorbefunde von Herrn Pauli raussuchen, alle drei Patienten ausführlich aufklären, und dann möchte ich morgen früh alle Entlassungsbriefe für den Tag auf meinem Schreibtisch haben, damit ich sie noch korrigieren kann.«
    Linda seufzte. Die große Wanduhr verriet ihr, dass sie eigentlich genau in dieser Sekunde Feierabend hatte, aber daran war offensichtlich noch lange nicht zu denken.
    Alexandra war ihr entsetzter Blick auf die Uhr nicht entgangen. »Pünktlichen Feierabend kannst du direkt vergessen«, sagte sie. »Ich erwarte vollen Einsatz von dir. Immer. Auch, wenn es schon spät ist.«
    »Den werde ich auch bringen. Ganz bestimmt«, entgegnete Linda. Dabei sehnte sie sich insgeheim nach ihrer Wohnung. Auch wenn die Arbeit ihr Spaß machte – irgendwann war es einfach genug.
    Der Fahrstuhl war mittlerweile gekommen, und Alexandra stellte sich in die offene Tür, um ihn aufzuhalten. »Wohnst du eigentlich noch bei deinen Eltern?«, fragte sie.
    Überrascht von diesem unerwarteten Themenwechsel sah Linda sie an. »Nein, schon lange nicht mehr. Sie wohnen in Düsseldorf, und ich bin zum Studium nach Köln gegangen.«
    »Hätte ich mir auch denken können. Dein Vater arbeitet doch in Düsseldorf, oder?«
    Ach, daher wehte der Wind. Es war immer das gleiche. Egal, wo Linda war – früher oder später kam zwangsläufig die Sprache auf ihren berühmten Vater. »Ja«, antwortete sie knapp. Sie hatte keine Lust, über ihren Vater zu sprechen.
    Alexandra nickte. »Gut, dann bis morgen.« Sie stieg in den Fahrstuhl. »Und nimm es nicht persönlich, wenn ich vielleicht etwas hart war. Ich weiß, dass die ersten Tage schlimm sind.«
    Das Letzte, was Linda sah, bevor sich die Fahrstuhltür schloss, war Alexandras bezauberndes Lächeln, das sie viel zu selten auf den Lippen hatte.
    Für einen kurzen Moment gestattete sich Linda, die Augen zu schließen und sich gegen die Wand zu lehnen. Alexandra konnte noch so hart zu ihr sein – auf eine seltsame Art war Linda trotzdem von ihr hingerissen.
    Das Klingeln ihres Telefons störte sie aus ihren Gedanken auf. Es war die Station. Der Pfleger wollte sie an ein Angehörigengespräch erinnern.
    Nach der Blutentnahme und dem Gespräch zog sich Linda in ihr Arztzimmer zurück, um die ausstehenden Briefe vorzubereiten. Ziellos blätterte sie durch die Patientenakten. Wo sollte sie nur anfangen? Verzweiflung ergriff sie. Am liebsten hätte sie sich einfach in eine Ecke verkrochen. Aber es half ja nichts. Sie musste weiterarbeiten.
    Linda legte eine Kassette in ihr Diktiergerät ein und startete es. Doch schon nach den ersten Sätzen öffnete sich die Tür, und Yvonne kam herein.
    »Oh,
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