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Mit Herz und Skalpell

Mit Herz und Skalpell

Titel: Mit Herz und Skalpell
Autoren: Julia Schoening
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erprobt.
    Auf dem Weg zur Station gingen ihr Rainers Worte nicht aus dem Kopf. Stand ihr wirklich eine große Karriere bevor? Sie hatte sich immer gern ausgemalt, wie sie eines Tages eine Klinik leiten würde, wie sie alle wichtigen Entscheidungen treffen würde und vor allem, wie sie im OP das Sagen hatte. Der Weg dorthin führte unweigerlich über eine Stelle als Leitende Oberärztin, vor allem, wenn sie an einer Uniklinik bleiben wollte. Und das wollte sie. Sie liebte die Wissenschaft, sie wollte weiter forschen, und das mit großen Möglichkeiten.
    Alexandras Schritte wurden energischer. Sie musste diese Stelle bekommen. Um jeden Preis. Sie war dafür geeignet, davon war sie überzeugt. Vielleicht war sie wirklich die Beste dafür.
    »Hoppla! Nicht so stürmisch.«
    Alexandra schreckte zurück. Fast wäre es zum Zusammenstoß gekommen.
    »Dabei hätte ich nichts dagegen, dir wieder näherzukommen.«
    Erst jetzt wurde Alexandra bewusst, dass sie diese Stimme kannte. Melanies kalte Augen blitzten sie an.
    »Das letzte Mal ist so lange her«, fuhr Melanie mit einem Lächeln fort. Sie senkte die Stimme. »Viel zu lange.«
    »Was willst du?«, fragte Alexandra barsch.
    Melanie stellte sich direkt vor sie. »Das weißt du doch ganz genau.«
    Alexandra wollte einen Schritt an ihr vorbei machen, aber Melanie folgte ihrer Bewegung und versperrte ihr den Weg. »Du wirst mir helfen«, flüsterte sie. »Ganz sicher. Du weißt genau, was ich gegen dich in der Hand habe.«
    »Lass mich einfach in Ruhe. Wann verstehst du das endlich?« Unsanft stieß Alexandra Melanie zur Seite. Mit durchgedrücktem Oberkörper ging sie an ihr vorbei und drehte sich nicht noch einmal um.
    Das mit Melanie musste ein Ende haben. Definitiv.
~*~*~*~
    A lexandra hätte schon vor einer Viertelstunde auf der Station sein sollen. Erneut sah Linda auf ihre Armbanduhr. In dreißig Minuten war Feierabend, und sie musste Alexandra noch drei neue Patienten vorstellen, die für geplante Operationen am Folgetag aufgenommen worden waren. Außerdem musste sie noch einige Entlassungsbriefe vorbereiten, und es warteten mehrere Angehörige darauf, mit ihr zu sprechen. Das würde sie niemals in dieser kurzen Zeit schaffen.
    Sie saß im Arztzimmer vor einem PC und studierte die Laborwerte eines Patienten, der am Vortag operiert worden war. Eher war sie dazu nicht gekommen. Sie hatte sich das Arztleben zwar anstrengend vorgestellt, aber die Realität war noch stressiger. Es blieb ihr nur die Hoffnung, dass das auch an ihrer mangelnden Erfahrung lag und sich mit der Zeit geben würde.
    »Da bist du ja.« Diese Stimme mit dem dunklen Timbre erkannte Linda sofort. Abrupt hielt sie in ihrer Arbeit inne. Alexandra war unbemerkt ins Zimmer getreten und stand jetzt hinter ihr.
    »Die Nierenwerte sind aber ganz schön angestiegen in den letzten Tagen.« Mit schief gelegtem Kopf sah Alexandra auf den Monitor. »Wir müssen aufpassen. Wie viel Flüssigkeit bekommt Herr Huber im Moment?«
    Linda schluckte. »Also . . . ich glaube . . .«
    »Du sollst hier nicht glauben. Das kannst du in der Kirche«, fiel Alexandra ihr scharf ins Wort. Ihre Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen. »Du sollst das wissen. Du musst die Patienten kennen. In- und auswendig.«
    Linda nickte. »Tut mir leid.«
    Da nahm Alexandras Gesicht unvermittelt einen weicheren Ausdruck an. »Na ja, es ist ja erst dein zweiter Arbeitstag, da werde ich etwas nachsichtiger sein. Aber achte für die Zukunft darauf. Und jetzt lass uns die Neuen angucken.«
    Eilig nahm Linda die Akten in die Hand, die sie bereits zusammengesucht hatte.
    »Wohin müssen wir?« Erwartungsvoll sah Alexandra sie an.
    »Zimmer drei.«
    Alexandra lief voraus, und Linda folgte ihr. Vor der Zimmertür blieb Alexandra stehen. »Und? Was haben wir hier?«
    Für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Blicke, und Linda hatte das Gefühl, dass Alexandras Augen sie durchleuchteten wie ein Röntgenapparat. Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Ehe die Röte sich vertiefen konnte, spulte sie rasch ab: »Vierzigjährige Patientin zur Cholezystektomie bei multiplen Gallensteinen mit rezidivierenden Entzündungen. Aktuell nur gelegentlich Beschwerden.«
    »In Ordnung.« Alexandra klopfte an und öffnete schwungvoll die Tür. Sie befragte die Patientin kurz, dann wandte sie sich wieder an Linda. »Wie war das Labor? Was hast du im Ultraschall gesehen?«
    Linda wäre am liebsten im Erdboden versunken. Sie hatte an beides nicht gedacht.
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