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Mit Herz und Skalpell

Mit Herz und Skalpell

Titel: Mit Herz und Skalpell
Autoren: Julia Schoening
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angekommen. Alexandra klopfte beherzt an, hielt aber vor dem Eintreten noch einmal inne. »Frau Amberger?«, rief sie über den Flur. Anna Amberger war die Stationsleitung, das hatte Linda sich gemerkt. »Wo sind Sie? Wir machen Visite.«
    Die Schwester eilte herbei. »Entschuldigung, Frau Doktor Kirchhoff.«
    Die tiefe Falte, die sich zwischen Alexandras Augenbrauen gebildet hatte, machte deutlich, dass die Oberärztin keine Zeit mit Reden zu verschwenden gedachte. Sie betrat das Zimmer und blieb vor dem ersten Bett stehen. »Guten Morgen«, begrüßte sie den Patienten.
    Andreas fasste zusammen: »Herr Kruse hat die OP gut überstanden. Die Histologie steht noch aus.«
    »Und die Wunde?«, hakte Alexandra nach.
    »Reizlos, völlig unauffällig.«
    »Keine Hinweise auf eine Anastomoseninsuffizienz?«
    Andreas schüttelte den Kopf.
    Alexandra drehte sich zu Linda um. »Bei allen großen Bauch-OPs musst du unbedingt darauf achten, ob es Hinweise darauf gibt, dass die Naht nicht dicht ist und Stuhl in den Bauchraum gelangt. Wenn du das übersiehst, kann es schlimme Folgen haben. Nachher möchte ich alle Symptome und weiteren Komplikationen von dir hören. Ich werde dich abfragen.«
    Anna Amberger beugte sich zu Linda und flüsterte: »Keine Sorge, sie ist nicht immer so. Manchmal muss sie nur ihr Revier markieren. Sie kann auch nett sein.«
    Nach dem, was sie an diesem Tag bereits über Alexandra gehört hatte, war sich Linda da nicht so sicher.
    »Können Sie bitte einmal den Bauch frei machen?«, wandte sich Alexandra wieder an den Patienten.
    Herr Kruse schob sein Schlafanzugoberteil hoch. Alexandra stellte sich neben das Bett und begann den Bauch abzutasten.
    Lindas Blick fiel auf Alexandras lange, schlanke Finger mit den vollendet manikürten, aber kurzen Nägeln, die geübt in den Bauch drückten. Perfekte, schöne Chirurgenhände, kam es ihr in den Sinn. Was sie wohl noch damit . . .
    Linda stoppte sich mit aller Gewalt, bevor ihre Gedanken weiter abdriften konnten. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr. So etwas durfte sie nicht einmal denken.
    Alexandra war ihre Oberärztin.
~*~*~*~
    L inda hatte das Gefühl, sich nie wieder aus ihrem Sessel erheben zu können. Ihre Beine fühlten sich an wie aus Blei. Sie rieb sich über die Schläfen, um den Kopfschmerz zu vertreiben. Es waren zu viele neue Eindrücke gewesen, die auf sie eingestürmt waren. So viele neue Menschen. Und vor allem . . .
    Linda schluckte. Alexandra. Sie nahm ihren Block wieder in die Hand, auf dem sie sich einige Notizen zu Krankheitsbildern gemacht hatte. Alexandra hatte angekündigt, sie in den nächsten Tagen zwischendurch immer wieder abzufragen. Aber Linda fiel es schwer, die Augen offen zu halten. Mehrfach musste sie ein Gähnen unterdrücken. Dabei war es erst früher Abend, noch längst nicht Zeit, schlafen zu gehen.
    Das Telefon klingelte. Ächzend quälte sich Linda hoch. Den ganzen Tag zu stehen und zu laufen war doch etwas ganz anderes, als am Schreibtisch zu sitzen und zu lernen. Und das, obwohl sich Linda durchaus für sportlich hielt.
    Als sie nach dem Telefon griff, erkannte sie sofort die Nummer ihrer Eltern im Display.
    »Hallo, mein Kind«, begrüßte Lindas Mutter sie. »Wie war der erste Tag? Dein Vater und ich platzen schon vor Neugierde.«
    Das konnte sich Linda bildlich vorstellen. Ihr Vater war sicherlich die letzten Stunden um das Telefon getigert, und als es einfach nicht klingeln wollte, hatte er seine Frau vorgeschickt, bei Linda anzurufen. So war es immer.
    Linda ließ sich wieder in den Sessel fallen. »Sehr gut, aber anstrengend. Ich bin völlig erschlagen.«
    »Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich kann mich noch sehr gut an meine erste Zeit im Krankenhaus erinnern.« Simone Willer lachte leise. »Nach den ersten paar Tagen war ich kurz davor zu kündigen, aber das hat sich schnell wieder gegeben. Hast du denn nette Kollegen?«
    »Soweit man das nach einem Tag sagen kann, ja, ich denke schon.« Unvermittelt erschienen diese unglaublichen braunen Augen vor Linda. Mit einem leichten Kopfschütteln versuchte sie dieses Bild zu vertreiben und stattdessen an Andreas und Yvonne zu denken.
    »Das ist schön. Ich gebe dich mal an deinen Vater, bevor er mir noch das Telefon aus der Hand reißt. Ich wünsche dir viel Spaß in den nächsten Tagen. Und melde dich zwischendurch mal.«
    »Natürlich, Mama.«
    Nun klang die tiefe Stimme ihres Vaters durch die Leitung: »Linda.«
    »Hallo, Papa.« Linda lehnte sich zurück,
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