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Mit geschlossenen Augen

Mit geschlossenen Augen

Titel: Mit geschlossenen Augen
Autoren: Melissa Panarello
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Töpfen klappern und über irgendeine Kollegin lästern hören. Ab und zu kam ein Student vorbei, guckte mich an und zwinkerte mir zu, aber ich tat, als würde ich ihn nicht sehen. Die Köchinnen und ihre Unterhaltung beschäftigten mich mehr als meine eigenen Gedanken; ich war ruhig, kein bisschen nervös, ließ mich von der Außenwelt ablenken und nahm mich kaum selbst wahr.
    Roberto fuhr in einem gelben Auto vor und war regelrecht vermummt; er hatte sich einen riesigen Schal um den Kopf gewickelt, der nur seine obere Gesichtshälfte mit der Brille freiließ.
    »Um nicht erkannt zu werden, du weißt schon ... meine Freundin. Wir nehmen kleine Nebenstraßen, das dauert ein bisschen länger, aber wenigstens sind wir dann sicher«, sagte er, als ich eingestiegen war.
    Der Regen trommelte auf die Windschutzscheibe, als wolle er sie einschlagen. Roberto wollte mich in sein Ferienhaus außerhalb der Stadt, irgendwo am Ätna, bringen. Die dürren braunen Äste der Bäume sahen aus wie kleine Risse im nebligen Himmel, Vogelschwärme kämpften sich durch den dichten Regen, wärmeren Gefilden entgegen. Auch ich hätte gerne meine Flügel ausgebreitet, um an einen wärmeren Ort zu fliegen. Aufgeregt war ich überhaupt nicht: Es war wie von zu Hause weggehen und einen neuen Job beginnen, aber keinen interessanten, im Gegenteil. Einen anstrengenden Pflichtjob. »Schau mal nach: Im Handschuhfach müssten ein paar CDs liegen ...«
    Ich kramte ein bisschen herum und wählte eine CD von Carlos Santana aus.
Wir redeten über die Schule, über die Uni und dann über uns. »Ich möchte nicht, dass du schlecht über mich denkst«, sagte ich. »Unsinn. Dann müsste ich ja auch schlecht über mich selbst denken ...
    ich meine, wir machen doch beide das Gleiche. Vielleicht ist mein Fall sogar noch schlimmer, weil ich eine feste Freundin habe. Aber siehst du, sie ...«
    »Lässt dich nicht ran«, unterbrach ich ihn mit einem Lächeln. »Genau«, erwiderte er mit dem gleichen Lächeln. Dann bog er in einen holprigen Weg ein und hielt kurz darauf vor einem grünen Tor. Er stieg aus und öffnete es; als er wieder im Auto saß, fiel mir auf, dass auf seinem völlig durchweichten T-Shirt der Kopf von Che Guevara zu sehen war.
»Scheiße!«, fluchte er. »Wir haben Herbst und schon so ein beschissenes Wetter.« Dann schaute er mich an und fragte: »Bist du überhaupt nicht aufgeregt?«
Ich presste die Lippen zusammen, legte mein Kinn in Falten und schüttelte den Kopf. »Nein, keine Spur«, sagte ich nach einer Weile.
Auf dem Weg zur Haustür hielt ich mir meine Tasche über den Kopf, wir rannten durch den Regen und lachten dabei wie die Blöden.
Im Haus war es stockfinster und eiskalt. Er schien daran gewöhnt zu sein und jeden Winkel zu kennen, aber ich konnte mich nur langsam vorantasten. Irgendwann kam ich zu einer Stelle, wo es ein bisschen heller war, dort stand ein Sofa, auf das ich meine Tasche legte.
Roberto kam von hinten, drehte mich um und gab mir einen langen Zungenkuss, der etwas ekelig war, ganz anders als Danieles Küsse. Roberto ließ mir seine Spucke in den Mund fließen, ein bisschen davon tropfte auf meine Lippen. Ich machte mich behutsam von ihm los und wischte mir den Mund ab, ohne ihn etwas merken zu lassen. Später fasste er mich an der Hand und zog mich ins Schlafzimmer, das genauso dunkel und genauso kalt war.
»Könntest du nicht das Licht anmachen?«, fragte ich ihn, während er meinen Hals abknutschte.
»Nein, ich mag es so lieber.«
Dann legte er mich auf das breite Bett, kniete sich vor mich und zog mir die Schuhe aus. Ich war weder erregt noch total gleichgültig. Ich hatte das Gefühl, alles nur zu seinem Vergnügen zu tun.
Er zog mich aus, als wäre ich eine Schaufensterpuppe ‒ rasch und teilnahmslos wie ein Dekorateur.
»He, du trägst ja halterlose Strümpfe!«, meinte er irgendwann erstaunt.
»Ja, die trage ich immer«, sagte ich.
»Sieh dir mal dieses Ferkel an!«, rief er laut.
Ich schämte mich wegen dieser unpassenden Bemerkung, aber noch mehr wunderte ich mich über seine plötzliche Wandlung vom höflichen, wohlerzogenen Studenten zum vulgären Grobian. Er hatte auf einmal glühende, hungrige Augen, seine Hände wühlten unter meinem Unterhemd und in meinem Slip herum.
»Soll ich sie anlassen?«, fragte ich ihn aus Nettigkeit.
»Klar, lass sie an, so bist du viel schweinischer.«
Zum zweiten Mal lief ich rot an, aber dann spürte ich, dass mein Feuer langsam aufloderte und die Wirklichkeit immer mehr
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