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Mit geschlossenen Augen

Mit geschlossenen Augen

Titel: Mit geschlossenen Augen
Autoren: Melissa Panarello
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gewesen, mich einer von ihnen anzuvertrauen, ihr alles über mich und Daniele zu erzählen; damals wurde ich mit einem heuchlerischen »Wie Leid mir das tut« in den Arm genommen ...
    »Warum, würdest du dich von so einem etwa nicht bumsen lassen?«, fragt die von vorher eine andere.
»Nein. Ich würde ihn vergewaltigen. Gegen seinen Willen.«
»Und du, Melissa?«, fragen sie mich. »Was würdest du tun?«
Ich drehe mich um und sage, dass ich diesen Typ nicht kenne und deshalb gar nichts mit ihm tun würde. Jetzt höre ich sie lachen, aber ihr Lachen geht im schrillen Läuten der Schulglocke unter.
16 Uhr 35
    Auf dem kleinen Podium, das man für die Versammlung aufgebaut hatte, scherte ich mich einen Dreck um abgeschaffte Zölle und brennende McDonald's, obwohl ich dazu ernannt worden war, das Meeting zu protokollieren. Ich saß in der Mitte des langen Tischs, rechts und links von mir die Vertreter der gegnerischen Parteien. Der Junge mit dem Engelsgesicht saß genau neben mir und kaute ungeniert auf einem Kuli herum, und während sture Rechtsler und verbohrte Linksler aufeinander losgingen, betrachtete ich den blauen Kugelschreiber zwischen seinen Zähnen.
    »Trag mich in die Liste der Redner ein«, sagte er irgendwann, den Blick auf seine Notizblätter gerichtet.
»Wie heißt du?«, erkundigte ich mich in zurückhaltendem Ton, und er sagte: »Roberto.« Diesmal schaute er mich an, meine Frage schien ihn zu überraschen.
Später stand er auf, und seine Rede war echt stark und total mitreißend. Ich beobachtete ihn, wie er locker hin- und herspazierte, das Mikro in der einen, den Kuli in der andern Hand; die Zuhörer waren ganz gefangen und lachten über seine ironischen Bemerkungen, die voll ins Schwarze trafen. Klar, dachte ich, als Jurastudent muss er schon Redetalent besitzen. Mir fiel auf, dass er sich immer wieder nach mir umdrehte und mich ansah, da knöpfte ich, wie nebenbei, aber doch etwas neckisch, meine Bluse auf, bis man den Ansatz meines weißen Busens sehen konnte. Ob er es nun gemerkt hat oder nicht, jedenfalls drehte er sich ab jetzt noch häufiger um und starrte mich halb verlegen, halb neugierig an, zumindest wollte es mir so scheinen. Als er mit seiner Rede zu Ende war, setzte er sich wieder hin, steckte abermals den Kuli in den Mund und kümmerte sich nicht die Bohne um den Beifall, der ihm gespendet wurde. Irgendwann drehte er mir den Kopf zu ‒ ich hatte inzwischen wieder angefangen zu protokollieren ‒ und sagte: »Wie war noch gleich dein Name?«
»Den habe ich dir noch nicht verraten«, erwiderte ich, denn ich hatte Lust zu spielen.
Er warf den Kopf leicht zurück und sagte: »Ach ...« Dann beugte er sich wieder über seine Notizen, während ich vor mich hin lächelte und es genoss, ihn zappeln zu lassen.
»Und, willst du ihn mir jetzt vielleicht verraten?«, fragte er nach einer Weile und sah mir forschend ins Gesicht.
»Melissa«, erwiderte ich mit einem zuckersüßen Lächeln.
»Hm ... der Name der Bienen. Isst du gern Honig?«
»Nein«, sagte ich, »ich mag's lieber deftig.«
Er schüttelte den Kopf, lachte kurz, und dann machten wir uns beide wieder ans Schreiben. Irgendwann stand er auf und ging nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen, ich konnte ihn lachen und gestikulieren sehen, er stand mit einem anderen Jungen zusammen, der ebenfalls super aussah; ich hatte das Gefühl, dass er immer wieder zu mir reinschielte und mir zulächelte, während er die Kippe zum Mund führte. Aus der Ferne betrachtet, wirkte er schlanker und größer, seine Haare schienen weich und duftend zu sein ‒ kleine bronzefarbene Löckchen, die sein Gesicht umrahmten. Er lehnte an einem Laternenpfahl, das ganze Gewicht auf eine Hüfte verlagert, die er mit der Hand in der Hosentasche hochzuziehen schien; ein Hemd mit großen grünen Karos hing schlampig aus seiner Hose, und die runde Nickelbrille vervollständigte den Eindruck des Intellektuellen. Seinen Freund habe ich schon oft vor der Schule Flugblätter verteilen gesehen, er hat immer eine Zigarillo im Mund, egal, ob brennend oder erloschen.
Als die Versammlung zu Ende war und ich gerade die über den Schreibtisch verstreuten Blätter einsammelte, die ich meinem Protokoll beifügen musste, kam Roberto zu mir und schüttelte mir mit breitem Lächeln die Hand.
»Ciao, Genossin!«
Ich musste lachen und gestand ihm, dass ich es cool fände, Genossin genannt zu werden.
In diesem Moment kam der stellvertretende Schulleiter herein: »Los, los! Was
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