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Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)

Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)

Titel: Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
Autoren: Elli H. Radinger
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und Hure, Räuber und Frevler gemein?
    Die erste geschichtlich nachgewiesene Begegnung zwischen Wolf und Frau lag lange Zeit in einem schier unentschlüsselbaren Wirrwarr von Linien verborgen. Auf einer kleinen Schieferplatte aus einer Steinzeitsiedlung am Ufer des Rheins fand man ein wildes Durcheinander von Einritzungen. Auf anderen sah man sofort den Kopf eines Pferdes, die Umrisse eines Rentieres, Frauengestalten auch ohne Kopf und Beine, aber mit viel Busen, Bauch und Po – wohl Fruchtbarkeitssymbole.
    All diese Zeichnungen in weichen Schiefer geritzt, widerspiegeln das Leben und das Wertgefüge der Menschen, die vor fünfzehntausend Jahren bei Gönnersdorf am Ufer des großen Flusses ihre Zelte aufschlugen. Es waren Jäger und Sammler. Haustiere gab es noch nicht und auch keine Kulturpflanzen, die man säen und später ernten konnte. Man war vielmehr allein auf das angewiesen, was die Natur von sich aus an Überfluss produzierte.
    Und das war nicht wenig, trotz Kälte und nahem Eis. Über die offene Tundra zogen große Renherden. Pferde und Vögel, Robben und Fische waren weitere reiche Nahrungsquellen. Beeren, Kräuter, Pilze ebenso. Im Permafrost der Böden ließen sich Nahrungsreserven lange lagern. So hatten die Menschen viel Zeit. Sie schmückten ihre Werkzeuge und ihre Waffen aus Stein. Und sie malten die Wände ihrer Wohnhöhlen mit herrlichen Bildern aus. In Gönnersdorf befestigten sie die Wege zwischen den Zelten und die Böden in den Zelten mit Schieferplatten. Fast alle davon waren voll mit eben jenen eingeritzten Zeichnungen, in denen man die Lebenswelt von damals so schön erkennen kann.
    Nur einige Platten mit allzu verwirrenden Linien blieben lange Zeit ungedeutet. Bis man Linie für Linie nachzeichnete. Auf einer Platte kam ein Wolf zum Vorschein; ein weiteres Tier der damaligen Tundra. Also nichts Besonderes. Bis man weitere Linien nachzog und drei Frauengestalten erkannte. Sie liegen quer über dem Wolf – oder er über ihnen. Wie man will.
    Man könnte diese Überlagerung von mehreren Bildern, von der realistischen Abbildung eines Wolfes und von Symbolfiguren der Fruchtbarkeit als zufällig abtun. Aber es gibt weitere Verknüpfungen von Frau und Wolf/Hund aus dem gleichen Gebiet aus einer etwas späteren Zeit. Im 14000 Jahre alten Doppelgrab von Oberkassel bei Bonn fand man Skelettreste von einem älteren Mann und einer neben ihm begrabenen jüngeren Frau. Dem Mann waren Werkzeuge und Waffen als Grabbeigabe mitgegeben. Neben der Frau aber lagen nur die Reste von einem mittelgroßen Tier. Zuerst hat man das Tier als Wolf identifiziert, später aber anhand der Zähne als Hund erkannt. Der bislang älteste Hund der Geschichte und zugleich das erste Haustier des Menschen.
    Über die Entstehung des Hundes ist viel gerätselt worden. Heute weiß man, dass der Wolf (und nur der Wolf) Stammvater aller Hunde ist. Warum aber wurde der Wolf überhaupt gezähmt? Wer machte aus dem Konkurrenten um gleiche Beute den besten Freund des Menschen, den Hund?
    Für meinen Lehrer Konrad Lorenz stand fest: Mensch und Wolf kamen als Jäger zusammen, jagten immer mehr zum Vorteil beider, um schließlich auch gemeinsam zu leben. Für andere Forscher gelten die ersten „Hauswölfe“ hingegen als Ersatznahrung für schlechte Zeiten. Andere wiederum glauben, dass der Wolf in erster Linie zum Schutz des Menschen gezähmt wurde.
    Alle diese Erklärungsversuche sind männerorientiert und deuten zudem die erste Manipulation der Natur im Interesse des Menschen als bewusste Tat einsichtiger und zukunftsorientierter Menschen. Nur vergessen sie, dass ein Mann zur damaligen Zeit einen Wolf gar nicht zähmen konnte. Nur wenn ein kleiner Welpe der Mutter weggenommen und vom Menschen aufgezogen wird, kann ein Wolf zahm und auf den Menschen geprägt werden, wird er sein Leben lang diesen seinen eigenen Artgenossen als Sozialpartner vorziehen. Wie es die Hunde eben tun, ein Wildtier wie der Wolf aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Und dazu gehören insbesondere die frühe Wegnahme und die dann zwingend notwendige Fütterung mit Milch.
    Milch gab es ohne Haustiere nur bei der Frau. Sie muss es also gewesen sein, die junge Welpen zu sich nahm und ihnen die Brust gab. Vielleicht, weil sie zu viel Milch hatte, weil sie Mitleid hatte oder Zärtlichkeit fühlte für die kleinen, hilflosen Wesen, die sie auf einmal im Arm hielt, ohne auch nur zu ahnen, welche Revolution in der Geschichte der Menschheit sie in diesem Moment
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