Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit dem Teufel im Bunde

Mit dem Teufel im Bunde

Titel: Mit dem Teufel im Bunde
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
nahm. Er wollte aus dieser seltsamen Manege fliehen, dreißigtausend Zuschauer hatten sich um das auf dem Østre Fælled errichtete Schafott eingefunden, so war später in den Zeitungen geschrieben worden. Aber wie alle anderen hatte er ausgeharrt, als halte auch die Zeit den Atem an, um sich dann von der plötzlich, wie im geheimen Einverständnis davoneilenden Menge mitziehen zu lassen, fortschwemmen, zurück hinter die Mauern der Stadt.
    Erst später in seinem Quartier hatte er erkannt, was andieser Rückkehr so befremdlich gewesen war: Das Geschwätz hatte gefehlt in diesem eiligen Menschenstrom, die Prahlerei, das Ausmalen und einander Erzählen von dem, was sich gerade ereignet hatte. Da war ein Raunen hier und dort gewesen, mal ein Seufzen, ein Aufschluchzen gar, doch keine wetteifernden Töne des Triumphs, des üblichen genussvollen Grausens und der Schadenfreude.
    Oder hatte er sie nur nicht gehört? Waren sie nur nicht durch das taube Rauschen in seinen Ohren, in seinem ganzen Kopf gedrungen? Das glaubte er nicht. Auch in den nächsten Tagen, als er wortkarg wie gewöhnlich seiner Arbeit nachging oder am Abend in der Schänke bei einem Krug Bier dem Geschwätz der Leute zuhörte, war von dieser erstaunlichen Stille und Eile, in der die Menge den Richtplatz verlassen hatte, die Rede gewesen. Doch schon am nächsten Tag war die gewohnte Ordnung wieder eingekehrt, nicht nur der Pöbel auf den Märkten und im Hafen, in den Gassen und Schänken hatte zum üblichen Geschrei zurückgefunden, auch die Zeitungsschreiber und Drucker, die Verfasser der Flugschriften.
    Die Flugschriften waren in der Stadt verkauft worden, ob mit oder ohne Bilder – alle waren im gleichen Ton gehalten. Da war von dem Verräter die Rede, von dem Lüstling, dem Betrüger, dem Staatsfeind, von dem Mann, der die Königin verführt und den König und den Kronprinzen zu ermorden geplant hatte. Von einem, der mit dem Teufel im Bunde gewesen war. Wie sonst sollte man es erklären, wenn ein Pastorensohn in kurzer Zeit vom armen Altonaer Stadtphysikus zum Vorleser, königlichen Leibarzt und schließlich zum nahezu allmächtigen Geheimen Kabinettsminister aufstieg?
    Er hatte den Dreck nicht gekauft, ihm reichte, dass man den Vorlesern auf den Plätzen und in den Schänken kaumentkam. Womöglich hatte er es nicht selbst lesen, nicht schwarz auf weiß sehen wollen, so überlegte er jetzt, weil er Angst vor Zweifeln hatte. Womöglich, ja. Es war bei aller Gewissheit nicht leicht, der eigenen Überzeugung treu zu bleiben, wenn alle Welt an eine andere Wahrheit glaubte.
    Die Wahrheit? Wahrheit war ein schwieriges Wort, was sich dahinter verbarg, noch schwieriger. Darüber wollte er nun nicht nachdenken. Er reckte die Schultern, bewegte vorsichtig den steif gewordenen Rücken und sah sich um. Es gab immer noch diese Momente, in denen er nicht erstaunt gewesen wäre, wenn er sich vergeblich umgesehen hätte. Dabei hatte er sich an den Jungen gewöhnt, so unwillig er ihn zunächst aufgenommen hatte – einem wie Henrik Unterschlupf zu gewähren, war in jenen Tagen gefährlich gewesen.
    Inzwischen holte ihn die Erinnerung an die blutige Hinrichtung seltener ein, auch mit weniger Erschrecken, und obwohl er nicht wusste, warum er sich stets gerade an diese roten Streifen von Blut auf der weißen Haut erinnerte, fragte er sich nicht mehr danach. Es war unnütz, über Begebenheiten zu grübeln, wenn er sie nicht ändern konnte. Insbesondere nach solchen, die in der Vergangenheit lagen und somit unabänderlich Teil der wirklichen Welt waren.
    Er hatte andere Hinrichtungen gesehen, hatte die letzten Schreie einer des Kindsmords überführten Frau gehört, bevor sie, eingenäht in einen Sack, im Fluss unter das Wasser gedrückt und ertränkt worden war. Es war nicht wirklich gewiss gewesen, ob sie das Kind ihrer Schwester getötet hatte; was die Menschen unter der Tortur gestanden, war nie gewiss. Er hatte Gehenkte gesehen oder das, was von ihnen übrig geblieben war, er hatte auch – wie in Kopenhagen – nach der Tötung gevierteilte und auf Räder geflochtene Körper gesehen, die großen schwarzen Vögel, die daraufhockten und mit scharfen Schnäbeln ihre Beute zerhackten und verteidigten. Einmal hatte ihn bei der Fahrt durch ein Stadttor der Geruch verbrannten Fleisches empfangen. Es war ein Tag von drückender Schwüle gewesen, der Geruch hatte noch den ganzen Tag und die folgende Nacht in der Stadt gehangen. Selbst als die Reste des Scheiterhaufens
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher