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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt
Autoren: Dennis Gastmann
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gebracht hat. Den Jingle von damals werde ich nie vergessen. Wer Frau Antje leibhaftig gegenüberstehen möchte, muss nicht ins ferne Käsewunderland reisen. Ihr Haus liegt auch nicht hinter einem gigantischen Gouda,durch den man sich hindurchfrisst. Es ist viel simpler: Du meldest dich bei der Pressestelle des holländischen Verbands für Milcherzeugnisse und lässt dir einen Termin geben. Dann stehst du vor einem modernen Quader aus hellbraunen Klinkern, mit Panoramafenstern und einem Flachdach. Davor parkt ein käsegelber Smart.
    «Das wird es sein!», ruft der Produzent, und ich klingele. Klock, klock, klock macht es hinter der Tür. Das Geräusch wird immer lauter. Was geht hier vor? Plötzlich verstummt das Klocken, die Tür öffnet sich, und ich blicke auf zwei Holzschuhe. Darin steckt eine auffällig geschminkte Frau, Mitte dreißig, in holländischer Tracht, mit weißer Flügelhaube und blonden Zöpfen.
    «Sind Sie Frau Antje?»
    «Türlik! Welkom in Nederland!»
    «Darf ich reinkommen?»
    «Türlik!»
    Auch ich schlüpfe in Holzschuhe, ein orange lackiertes Paar, und klockend begehen wir den Luxus-Käsetempel. Das Objekt ist maisonetteartig geschnitten. Über den modernen Wohnbereich – puristisch, dafür aber umso exklusiver eingerichtet – erreichen wir die offene Designerküche aus gebürstetem Aluminium. Frau Antje zeigt mir ihre Edelstahl-Käsemesser, und dreimal dürfen Sie raten, welches Milchprodukt ihre freistehende Kühl-Gefrier-Kombination dominiert. Neben einem Pop-Art-Porträt von Johann Wolfgang von Goethe hängt eine Frau Antje in Andy-Warhol-Optik. Wir setzen uns auf die alabasterweiße Couch, Frau Antjes Holzschuhe schieben sich in den cremefarbenen Flokatiteppich, und aus der iPod-Station fließt dezentes Easy Listening. Herr Antje ist ein wohlhabender T V-Produzent .
    «Sind Sie wirklich Frau Antje?»
    «Türlik!»
    «Aber Sie müssten doch eigentlich viel älter sein.»
    Ich bemerke die drei großen Goudas, die der blonde Sonnenschein ins Bild gerückt hat. Sie sind aus Plastik. «Ich bin die neue Frau Antje», quietscht Frau Antje und gibt mir etwas Nachhilfe in holländischer Geschichte.
    Die allererste Frau Antje sei eine gewisse Kitty Janssen gewesen. Eine seriöse Schauspielerin, die das Werbegeld aber gut gebrauchen konnte. Das war 1961.   Im deutschen Schwarzweißfernsehen grillte sie «Käsetoast Hawaii» und verkaufte der deutschen Hausfrau Rezeptbücher für eine Schutzgebühr von fünfzig Pfennig pro Exemplar. Übrigens nur der
deutschen
Hausfrau. Außerhalb der Bundesrepublik ist Frau Antje wenig bekannt, das gilt auch für Holland.
    Nach zwei Jahren zog es die «Großmutter aller Frau Antjes», so nennt sie sich heute, wieder auf die Bühne. Statt Käse zu verkaufen, spielte sie nun Brecht. Die zweite Frau Antje war ein blondes Mannequin und wurde, wie das nun mal so ist, nach zehn Jahren durch eine jüngere Frau Antje ersetzt – aber nach weiteren zehn Jahren überraschend wieder eingestellt. Denn die jüngere Frau Antje hatte neben holländischem Käse noch andere, ausgefallene Hobbys: Sie zog sich für den «Playboy» aus und soll in eine Drogenaffäre verwickelt gewesen sein. Ende der Achtziger, die «ältere» Frau Antje war inzwischen Mitte vierzig, hatte das Büro für Milcherzeugnisse genug von der Frohnatur mit Flügelhaube. Es hieß, sie verkörpere ein altbackenes Bild von Holland. Frau Antje landete auf dem Werbefriedhof, irgendwo zwischen Clementine und Hustinettenbär.
    Die Jahre vergingen, ein neues Jahrtausend brach an, und den Deutschen fehlte ihre Frau Antje immer mehr. Sobekam die junge Physikerin Madeleen Driessen die Chance ihres Lebens:
    «Es gab ein Casting, und jetzt bin ich das Käsemädchen!»
    Madeleen setzt ihr schönstes Lächeln auf. Jedes Jahr besucht sie die Grüne Woche in Berlin, trifft Staatsbeamte und Minister, und allen bringt sie echten Käse aus Holland.
    «Essen Sie eigentlich viel Käse?»
    Schwups, da ist das Werbelächeln.
    «Türlik! Morgens auf Brot, mittags im Salat und abends überbacken.»
    «Wird Ihnen davon nicht schlecht?»
    «Nein! Pikantje von Gouda kannst du immer essen.»
    «Und ist Holland in Not?»
    «Nö.»
    «Nö?»
    «Nö. Ganz sicher nicht.»
    Türlik, das muss Frau Antje ja auch sagen. Aber man soll der Werbung eben nicht alles glauben.
    Vermutlich verrät die Redewendung einfach, dass unsere Nachbarn immer schon befürchten mussten, bei Sonnenaufgang neben ihren Holzschuhen auf See zu treiben. Kennen Sie den
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