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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt
Autoren: Dennis Gastmann
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Bagnolet. Unverputzte Betonwände, Stühle und Tische aus Plexiglas. Die Bäder sind gelb gestrichen, und über den rechteckigen Waschbecken baumeln schwarze Lampenschirme. Auch mein Zimmer ist schwarz. Zwei Wände sind schwarz gestrichen, an den übrigen hängen Spiegel, die das Schwarz aufsaugen. Auf meinem Nachttisch steht eine schwarze Statue. Jemand hat ihr eine Glühbirne in den Kopf geschraubt. Ihr schummriges Licht fällt auf den schwarzen Teppich und den schwarzen Vorhang hinter meinem Bett, der das kleine Fenster zur Straße verdeckt. Es ist ein cooles Hotel, aber es macht depressiv. Der Produzentübernachtet anderswo. Er bleibt bei seiner Freundin Babette, die in der Nähe ein kleines Apartment bewohnt. Für ihn ist Paris heute ganz sicher die Stadt der Liebe.
    Und für mich? Mir geht es wie allen Deutschen, die nach Paris kommen. Egal, wo ich in dieser Stadt auch hinsehe, ich finde sie zum Niederknien schön. Und genau das ist mein Problem. Setz dich mal einen Nachmittag lang auf die Stufen des Sacré-Cœur und blicke vom Montmartre aus über die Dächer der alten Gebäude. Du siehst die kleinen Schornsteine, die verzierten Fenster, im Vordergrund beginnt eine altmodische Laterne zu glimmen, und irgendwo spielt jemand Chansons von Gilbert Bécaud. Du magst diesen Touristenscheiß noch so sehr hassen, dennoch wächst etwas in dir, das du nicht aufhalten kannst. Es beginnt im Bauch, kriecht langsam durch alle Organe bis in dein Herz, und wenn du allein bist, dann tut es weh. Ich bin allein. Und Paris macht alles noch schlimmer.
    Das war schon früher so. Ich war dreizehn und unsterblich verliebt in Verena, ein Mädchen aus meiner Klasse mit Pagenkopf und Zahnspange. Als ich hörte, dass sie mit einer Gruppe des Gemeinschaftszentrums Ziegenbrink für ein Wochenende nach Paris fahren wollte, entdeckte ich meinen Gemeinschaftssinn und schloss mich an. Wir saßen im Bus nebeneinander, und im Euro Disney habe ich zum ersten Mal versucht, sie zu küssen. Es war auch das letzte Mal.
    Auch die zweite Paris-Geschichte aus meiner Kindheit hat mit einer Busreise zu tun. Vielleicht hatte meine Mutter tatsächlich romantische Gedanken, als sie die fünftägige Tour inklusive Hotel und einer Bootsfahrt auf der Seine buchte. Der Trip endete in einem billigen Hotel im Rotlichtbezirk Pigalle. Ich kann mich noch an den finsteren Typ in Unterhemdund Hosenträgern erinnern, der am Empfang hinter Panzerglas saß und meiner Mutter die Zimmerschlüssel in die Hand drückte. Direkt unter unserem Bett fuhr die Metro, im Nebenzimmer verprügelte jemand eine Frau, und Mutti weinte. Am nächsten Morgen wanderten wir durch Pigalle. Vorbei am Moulin Rouge, an den Sexshops und an Frauen in roter Reizwäsche, die in den Hauseingängen auf Freier warteten. Es waren meine ersten Eindrücke von Paris bei Tageslicht: «Mama, sind eigentlich alle Franzosen versaut?»
    «Franzosen machen immer Liebe. Jedes Jahr, jeden Monat und jeden Tag», sagt Alain Plumet, ein altes Männlein im Trenchcoat mit grauem Kinnbart und Knopfaugen. Ich folge ihm durch das Musée de l’érotisme, das Erotikmuseum im Herzen von Pigalle, vorbei an riesigen Porzellanpenissen und kopulierenden Statuen. Eine Figur steckt der anderen einen Eiffelturm in den Hintern, in der Ecke läuft ein Hardcore-Porno, und im Treppenhaus hängt ein Spiel mit einem heißen Draht. Wenn man sich geschickt anstellt, dann stöhnt eine großbusige Frau. Das gefällt Plumet: «Öhö, öhö», stöhnt er mit ein. Alain Plumet ist der Kurator dieser bedeutenden Vernissage.
    «Ich war auch mal beim Film.»
    «Ach wirklich? In welchem Bereich?»
    «Erotik.»
    «Wollen Sie darüber reden?»
    «Non.»
    Später finde ich heraus, dass Alain in den siebziger Jahren Pornodarsteller war. Als «Cyril Val» brillierte er in «Sweet Young Girls», «Die Frauen der Anderen» und «Exzesse in der Frauenklinik», dem wohl bekanntesten Film aus seinem Œuvre. Monsieur Plumet zeigt mir einen Klappstuhl, der mit Tigerfell bezogen ist. An der Vorderseite fehlt ein Stück,und in dieser Lücke dreht sich ein Rad mit langen, klebrigen Zungen aus Silikon. Alain grinst.
    Erotikmuseen sind keine Seltenheit. Man findet sie in den Schmuddelvierteln und Touristenmeilen der großen Städte, und meistens ziehen sie eher Besoffene als Kunstliebhaber an. Auf den Fluren ist heute nicht viel los. Ein paar Japaner sind da und kichernde Mädchen, die mit ihren Handys Plastikpenisse fotografieren. «Es gibt verschiedene Formen der
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