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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt
Autoren: Dennis Gastmann
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weißt du es.»
    «Und sagen Sie, ist Holland eigentlich in Not?»
    «Nö.»
    «Nö?»
    «Nö. Wer dem Herrn folgt, der ist niemals in Not.»

KAPITEL 2
«IST PARIS NOCH DIE STADT DER LIEBE?»
    PROBELIEGEN BEI MONSIEUR ROGER
    Kennen Sie Alfons, den französischen Straßenreporter mit dem Puschelmikrophon? Er hatte mich gewarnt. «Versuch das nicht!», sagte er. «Der Wickert hat das in den Achtzigern getan, aber heute ist es wirklich gefährlich!» Vielleicht hätte ich auf ihn hören sollen, nun ist es zu spät.
    Ich stehe unter dem Obelisken im Zentrum der Place de la Concorde und zähle die Fahrspuren der monströsen Straße, die um mich herumführt. Es gibt keine. Ohne jede Markierung brettern Motorräder, Autos und Lastwagen in Zehner- oder Zwölferreihen vorbei. Manchmal kann ich dazwischen den Produzenten erkennen. Er steht mit seiner Kamera auf der anderen Straßenseite und wartet. Er wartet schon lange.
    Ich könnte die Fußgängerampel benutzen. Normale Menschen tun das – sogar die Franzosen. Aber ich finde das feige. Ich will es exakt so machen wie Ulrich Wickert. Ich will die Mutprobe bestehen, die den gewöhnlichen Auslandskorrespondenten von der Reporterlegende unterscheidet.
    Wickert wirkte völlig gelassen, als er dem deutschen Fernsehpublikum präsentierte, wie man die Place de la Concorde am einfachsten überquert. «Es sieht unmöglich aus, aber es geht», sagte er und marschierte, ohne nach links oder rechts zu blicken, quer über die Fahrbahn. Genau so muss Jesus übers Wasser gelaufen sein. Wickert plauderte dabei sogar fröhlich ins Mikrophon: «Wenn man nicht hinschaut»,erklärte er, «dann denken die Fahrer, sie müssen aufpassen.»
    Doch ich habe Angst. Denn seit Wickerts Zeiten hat sich an der Place de la Concorde etwas Entscheidendes verändert: Es gibt Ampeln. Früher blieb den Fußgängern nichts anderes übrig, als blind über die Fahrbahn zu hechten, und die Pariser Autofahrer hatten sich daran gewöhnt. Heute haben sie sich an die Fußgängerampeln gewöhnt.
    Soll ich es wirklich wagen?
    Ich fasse mir ein Herz und setze den rechten Fuß auf die Fahrbahn. Dann den linken. Dann gehe ich weiter. Einen Schritt nach dem anderen. Zen. Nur nicht zur Seite gucken. Nur nicht   … o verdammt, ich hab’s getan! Schreiend renne ich zurück zum Obelisken, atme tief durch und versuche es noch einmal. Langsam. Schritt für Schritt. Nicht gucken, nur gehen. Einfach weitergehen. Wagen rauschen an mir vorbei, ich blicke ihnen nicht nach. Ein Bulli hupt in meinem Rücken, ich reagiere nicht. Ein Mofa streift meinen Koffer, ich gehe weiter, einfach weiter, und irgendwann stehe ich zitternd neben dem Produzenten. Er ist der erste Mensch, den ich um eine Zigarette bitte. Ich bin überzeugter Nichtraucher.
    Kurz darauf biete ich selbst eine an. Ich stehe neben einem Kiosk im Stadtviertel Bastille, und die Abendsonne fällt auf ein französisches Wörterbuch in meiner linken Hand. «Voulez vous une cigarette?», frage ich ein Mädchen mit kurzen blonden Haaren. Sie lächelt. «Je regrette», sage ich, «es tut mir leid. Ich habe gar keine Zigaretten. Aber würdest du vielleicht mit mir ausgehen?» Jetzt lächelt das Mädchen nicht mehr und dreht sich um. Ich versuche es bei zwei Studentinnen: «Avez vous envie de prendre un café chez moi? – Habt ihr Lust, einen Kaffee bei mir zu trinken?»Sie lachen mich aus. Die Mädchen lachen noch lauter, als sie den Produzenten bemerken, der uns aus der Ferne filmt. Ja, das hier ist eine Straßenumfrage mit versteckter Kamera. Ich spiele weiter den Filou und frage Damen, die eindeutig zu alt für mich sind, was sie am Abend vorhaben: «Je cherche l’amour!» Sie prusten vor Lachen und wünschen mir «Bonne chance!».
    Im Fernsehen wirkt es charmant, aber für mich ist es eine Tortur. Ich fühle mich wie mein Kollege Alfons, der mit naiven Fragen und französischem Akzent Rentner auf dem Wochenmarkt in Hamburg-Niendorf interviewt: «Isch möschtö Sie etwas fraggen. Was wärren Sie liebär: schwul odär ein Politikär?»
    Nur umgekehrt: Ich bin ein deutscher Alfons in Paris. «Ich kann euch Deutsche nicht verstehen», hatte er mir vor der Reise gesagt. «Ihr fahrt nach Paris, redet von ‹Stadt der Liebe› und findet alles, aber auch wirklich alles toll. Für uns Franzosen ist diese Stadt einfach nur ein dreckiges Loch. Wir hassen Paris.»
    Es beginnt zu regnen. Wir beenden den Drehtag, und der Produzent begleitet mich ins Hotel, ein moderner Bau in der Rue de
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