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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt
Autoren: Dennis Gastmann
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Sandboden unter mir. Jetzt senkt sie den Kopf und richtet ihre Hörnchen auf mich aus. Ich lasse sie kommen und denke an «El Rey». So wieer werde ich die Kuh beherrschen. So wie er werde ich die Hörner ganz eng, wenige Zentimeter um meinen Körper führen. Ich muss die Kuh nicht töten, aber genauso wie José Tomás werde ich aufrecht aus der Arena schreiten. Die Kuh kommt. Noch drei Meter, zwei, anderthalb. Alles läuft wie in Zeitlupe. Im letzten Moment jedoch bekomme ich Schiss und halte das Torero-Tuch reflexartig schützend vor meinen Körper. Eine dumme Idee. Eine saudumme Idee. Nun rennt das Tier direkt in meine Beine, nimmt mich auf die Hörner und schleudert mich über seinen Rücken in den Sand. «Oh shit», ruft der Produzent, «Oh shit», ruft auch Alfredo. Bin ich tot? Ich hechte an den Rand der Arena und zähle meine Knochen. Alfredo scheucht die Kuh davon.

    «Hast du es gespürt?»
    «Ja.»
    «Bravo. Nun bist du einer von uns, Torero.»

KAPITEL 4
«WO ENDET EUROPA?»
    ALLES FLIESST
    König Arthur hat sein Leben lang nach dem Heiligen Gral gesucht. Heinrich Schliemann hat fünfzig Jahre gebraucht, um Troja zu entdecken. Ich soll das Ende Europas finden und habe dafür genau zwei Tage. 48   Stunden, um eine Frage zu beantworten, die die Menschheit schon seit der Jungsteinzeit bewegt.
    In solchen Momenten trinke ich erst mal einen Kaffee. Und dann greife ich mir eine Karte. Eigentlich ist Europa ja nur ein Subkontinent, der lächerliche Wurmfortsatz Asiens. Wenn man eine geographische Grenze ziehen würde, dann verläuft sie irgendwo durch das Uralgebirge. Aber wer will schon in den Ural reisen? Eine weitere Grenze liegt zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer – bitte nicht. Doch die dritte reizt mich: der Bosporus. Ich buche einen Flug nach Istanbul und ein überraschend günstiges Hotel mit exzellenten Bewertungen.
    Auf dieser Reise wird mich der Produzent übrigens nicht begleiten. Die letzten Wochen waren anstrengend, und er hat Husten bekommen. Doch es gibt Ersatz. «Servus, Meischter!», sagt Thomas und wuchtet sein Stativ auf das Fließband am Check-in-Schalter. Thomas ist ein Schwabe mit Brille, schwarzen Stoppelhaaren und Kinnbart. Fleißig, professionell. Von allerhögschder Disziplin. Kaum in der Luft, fragt mich Thomas nach meinem Konzept.
    «Wir fliegen nach Istanbul und suchen das Ende Europas.»
    «Ah ja.»
    «Istanbul ist die einzige Metropole der Welt, die auf zwei Kontinenten liegt.»
    «Mhm.»
    «Ja, eine Hälfte ist europäisch, die andere asiatisch, und dazwischen fließt der Bosporus.»
    «So. Aber was ist dein Konzept, Dennis? Welche Protagonisten hast du dir ausgesucht?»
    «Also, wir haben zwei. Der eine ist ein hoher Geistlicher, er wird uns etwas über die religiösen Grenzen Europas erzählen. Den treffen wir morgen. Der zweite Protagonist ist Kemal Özkan.»
    «Kemal wer?»
    «Ein superbekannter Künstler, der sich mit den kulturellen Grenzen Europas beschäftigt. Ich bin im Kontakt mit seiner Pressestelle.»
    Thomas nickt zufrieden und fühlt sich bei mir gut aufgehoben. Doch ehrlich gesagt weiß ich gar nichts über Kemal Özkan. Seine Internetseite war türkisch, und die Dame am Telefon sprach nur ein paar Krümel Englisch. Aber es heißt, jedes Kind in Istanbul kenne Özkan.
    Kleine Sünden bestraft der Herr sofort. Wie eine versteinerte Falafel knallt die Maschine auf den Asphalt der Landebahn in Istanbul. Ein Fahrer des Hotels holt uns ab und rast mit hundert Sachen Richtung Innenstadt. Im Slalom umkurvt er die anderen Autos, alle Fenster sind heruntergelassen, und es dröhnt türkische Technomusik. So wie es die Bushidos in Berlin, Köln oder am Neumarkt in der Osnabrücker Innenstadt lieben. Jetzt weiß ich auch, warum: Es macht einen Höllenspaß.
    Leider vergeht uns die Freude am Hoteleingang. Das Haus liegt an einer sechsspurigen Straße. Seine Fassadebesteht aus gelben, grünen und roten Betonquadern und erinnert an einen Ostberliner Plattenbau. Daneben beginnt der Istanbuler Transenstrich. Hatte ich nicht ein Luxushotel im Herzen der Stadt gebucht? Hat uns der Fahrer am falschen Ort abgesetzt? An der Rezeption klärt sich alles auf: In meiner Eile habe ich das Ramada Plaza mit dem Ramada City verwechselt.
    «Tja, mehr war leider nicht im Budget», erzähle ich Thomas, der an der Rezeption leicht verstört seine Zimmerschlüssel in Empfang nimmt, «aber von oben soll man einen tollen Blick über die Stadt haben!» Thomas nickt und schlurft auf sein Zimmer,
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