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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt
Autoren: Dennis Gastmann
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während ich mich an der Rezeption mit dem Büro von Kemal Özkan verbinden lasse. Ich hatte verstanden, dass ich mich heute noch einmal dort melden soll.
    «Deniz! Hello!», brüllt die türkische Dame am anderen Ende der Leitung. Offenbar glaubt sie, dass ich sie so besser verstehe: «Tomorrow, Deniz! Tomorrow! Call tomorrow again!» Dann legt sie auf. Ich sehe den Rezeptionisten an. «Haben Sie schon mal von einem Kemal Özkan gehört?» Stumm lächelnd spreizt er Mittel- und Zeigefinger seiner linken Hand.
    Tags darauf nehmen wir ein Taxi zur Mariä-Verkündigungs-Kirche, wo ich mit Dositheos Anagnostopoulos verabredet bin, einem griechischen Priester. Ich nenne die Adresse, und sofort verriegelt der Fahrer alle Türen. «Es ist gefährlich dort», sagt er und fährt uns nach Dolapdere, einem Viertel im europäischen Teil der Stadt. Nach einer halben Stunde biegen wir in eine dunkle Gasse und halten vor der massiv gesicherten Pforte des Gotteshauses. Bevor wir aussteigen können, dreht sich der Fahrer noch einmal zu uns um: «Ich lasse euch jetzt raus. Aber wenn ihr aussteigt,dann geht keinen Umweg. Schon gar nicht mit der Kamera in der Hand. Am besten lauft ihr direkt in die Kirche.»
    Wir lassen das Taxi abfahren und nehmen mit der Kamera in der Hand einen Umweg, nur einen klitzekleinen Umweg, ein paar Meter um die Kirche herum. Wir sind neugierig, vielleicht sind wir auch bescheuert. Das Gotteshaus ist umgeben von einer schmutzigen, zwei Meter hohen Steinmauer. Darauf ist ein Gitter befestigt, das mit Stacheldraht gesichert wurde. Vor der Mauer liegen aufgerissene, blaue Säcke mit stinkendem Abfall, der in der Sonne brät. Es scheint, als ob um die prächtige Kirche herum alles verfällt. Hinter den zerschlagenen Fenstern eines Hauses kann ich eine verhüllte Frau erkennen, dann ist eine Männerstimme zu hören. «Verschwindet hier!» Wir laufen zurück zur Kirchenpforte und erhalten Einlass.
    Die Vorderseite der Kirche ist mit weißem Marmor verkleidet, schwere Holztüren führen in den Innenraum. Er schimmert in Gold, Silber und Indigoblau. Unter dem mächtigen Kronleuchter steht ein kleiner Mann mit gütigen Augen und Rauschebart. Das Licht malt einen Glorienschein auf seinen kahlen Kopf.
    «Pater, ich suche das Ende Europas.»
    «Sie haben es gefunden», sagt Dositheos und erzählt mir von den Menschen, die vor den Mauern seiner Kirche hausen. «Das sind Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten. Die meisten sind illegal hier. Unser Viertel hat nichts mehr mit dem wohlbehüteten Europa zu tun.»
    Dositheos ist der Sprecher des griechisch-orthodoxen Patriarchen in Istanbul, doch dreißig Jahre lang arbeitete er in einem hessischen Chemiekonzern.
    «Ich habe Tierversuche gemacht.»
    «Wie passt das mit Ihrem Glauben zusammen?»
    «Gar nicht. Erst danach habe ich zum Geistlichen umgeschult.»
    Dositheos lächelt. Im Rentenalter ging der pensionierte Chemiker zurück in seinen Geburtsort Istanbul und wurde Priester, jetzt verwaltet er die Reste einer griechisch-orthodoxen Gemeinde. In den Fünfzigern lebten noch hunderttausend Griechen in Istanbul, heute sind es zweitausend. An guten Sonntagen verirren sich zehn Familien in die Messe.
    «Endet hier auch das christliche Europa?»
    «Auf gewisse Weise schon. Europa ist ein christlicher Klub, und in der Türkei spielt sich das christliche Leben nur in Istanbul ab.»
    «Und das kulturelle Europa?»
    «Man kann da keine klare Grenze ziehen. Manche Teile Istanbuls sind eindeutig europäisch, andere eindeutig asiatisch. Es vermischt sich. Geh einfach spazieren, und du wirst sehen: Europa endet nicht. Alles fließt ineinander.»
    Vielleicht nehme ich den Pater zu wörtlich, als ich die Treppenstufen ins Cagaloglu Hamam hinabspaziere. Ein Ort, an dem alles Mögliche fließt. Das berühmte türkische Dampfbad folgt eigentlich strengen fernöstlichen Traditionen, erliegt aber mittlerweile westlicher Werbelogik. Im Vorraum der 300   Jahre alten Badeanstalt hängt ein großes Schild: «Now you are at the Cagaloglu Hamam, one of the 1000 places you should see before you die». Ich möchte im Baderaum drehen, und Thomas präpariert die Kamera. Damit die Optik bei den hohen Temperaturen nicht beschlägt, wickelt er das Gerät in ein Handtuch ein. Die Kamera braucht etwa eine halbe Stunde, um sich an Hitze und Feuchtigkeit zu gewöhnen. Ich habe Zeit und trinke mit dem Manager des Hamams einen Tee.
    «Haben Sie vielleicht schon mal von Kemal Özkan gehört?»
    Der Manager
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