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Mit 50 hat man noch Träume

Mit 50 hat man noch Träume

Titel: Mit 50 hat man noch Träume
Autoren: Bärbel Böcker
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sich fast daran gewöhnt. Wenn es
gar nicht anders ging, nahm sie eine hohe Dosis Baldrian, 600 bis 900 Milligramm,
das wirkte, eine halbe Stunde später schlief sie dann fest. Sie sollte sich unbedingt
wieder eine Schachtel besorgen. Bea knipste die kleine Lampe an, die auf dem Nachttisch
stand, und sah auf den Wecker. 3:15 Uhr, viel zu früh, um aufzustehen. Kölner Bilder
geisterten durch ihren Kopf. Der Rhein, ihr gemütliches, helles Haus. Ihr leer geräumter
Schreibtisch bei Best Promotion , Frank Flick. Die Gedanken an ihn wischte
sie schnell wieder beiseite, sie wollte ihnen jetzt keinen Raum geben, nicht in
diesen Zwischenstunden, dem Übergang der Nacht zum Tag, in denen die Gedanken grau
waren und keine Eindeutigkeit mehr besaßen. Sie kannte das: Die Gespenster, die
sich um diese Zeit wie unheilvolle Vögel in ihrem Kopf einnisteten und ihre Eier
legten, machten ihr Angst, denn sie ließen sich auch am Tag nur schwer vertreiben.
Bea seufzte. Auf einmal tauchte das Bild ihrer Gynäkologin vor ihr auf, die sie
kurz vor ihrer Abreise aus Köln noch konsultiert hatte. Die Ärztin hatte ihr das
Ergebnis ihres Hormonstatus’ mitgeteilt. Im Labor war zwar ein verminderter Östradiolspiegel
nachgewiesen worden, aber das hormonelle Ungleichgewicht schien harmlos. Noch. Trotz
der Schlafstörungen und der gelegentlichen Hitzewallungen. Bea atmete tief durch.
Bei der Vorstellung, vielleicht in naher Zukunft schon unter Schweißausbrüchen zu
leiden und unfruchtbar zu sein, schnürte sich ihr die Brust zusammen. Abrupt setzte
sie sich auf und fuhr sich schnell mit der Zunge über die Lippen. Es sei eine physische
wie psychische Wandlung, die Frauen da durchmachten, hatte die Gynäkologin gesagt,
vergleichbar mit der Pubertät. Unbewusst ballte sie die Hände. Vielleicht blieb
sie ja auch ganz die Alte, von den Falten einmal abgesehen. Ein schiefes Lächeln
glitt über ihr Gesicht, und sie fragte sich, ob sie sich demnächst das Geld für
die Antifaltencremes nicht besser sparen sollte. Die Wirkung war sowieso umstritten.
Immerhin besaß jeder Mensch ein unverwechselbares Ich, eine Seele, die ihn ausmachte
und nicht nur ein Gesicht, das irgendwann den Zauber der Jugend verlor. Wenn sie
sich erst einmal an ein Leben ohne Frank Flick und ohne die Werbeagentur gewöhnt
hatte, würde sie entspannter sein. Sie freute sich auf ihr zukünftiges Leben, in
dem sie Flanellhemden und bequeme Hosen statt eines Kostüms tragen würde, und sie
freute sich auf flache Laufschuhe statt Pumps. Sie dachte an Bruni, die ohnehin
die Meinung vertrat, dass ein einfaches Leben und ein ausgeglichener Seelenzustand
die beste Medizin war. Für alles. Und vermutlich hatte sie recht.
    Bea verschränkte
die Arme hinter dem Kopf und starrte aus dem Dachfenster hinaus in den Himmel, an
dem schräg der Mond hing, umgeben von unendlich vielen Sternen. Im Vergleich zu
Köln mussten es Millionen sein.
    Wie es Johanna
wohl ging? Sie sagte sich, dass Johanna längst alt genug war, um allein zurechtzukommen.
Sie hatte nie viel von ihrer Mutter gehabt, das war Bea bewusst, aber sie hatte
immer ihr Bestes getan, um Johanna das Gefühl zu geben, behütet aufzuwachsen. Dass
ihr Vater sich kaum um sie gekümmert hatte, blieb allerdings ein Stachel, der eine
tiefe Wunde in ihrem Herzen hinterlassen hatte. Seit Sven wieder verheiratet war,
meldete er sich noch seltener bei ihnen als zuvor.
    Bea erwog
einen Moment, in ihre Arbeitskleidung zu steigen und mit dem Streichen zu beginnen,
verwarf den Gedanken aber wieder, es war noch zu dunkel, und bei elektrischem Licht
strich man sowieso nicht ebenmäßig. Vor Jahren, als sie das Haus in Rodenkirchen
gekauft hatte, hatte sie es einmal versucht, aber es hatte natürlich überhaupt nicht
funktioniert.
    Das helle
Licht der Sterne blendete sie und sie nahm sich vor, demnächst eine Schlafbrille
zu besorgen. Kurz entschlossen schwang sie die Beine aus dem Bett, zog den Bademantel
über und öffnete leise die Tür. Im Flur erkannte sie Sappho, deren Augen in der
Dunkelheit rot leuchteten, und die schwanzwedelnd angeschlichen kam. Zusammen mit
Brunis Hündin schlich sie die Treppe hinunter und hinaus in den Garten, wo sie fröstelnd
die Arme um sich schlang. Sie horchte auf das murmelnde Geräusch der Ahr, die vor
dem Grundstück floss, und auf die Stimmen von Tieren, die sie nicht kannte. Dann
legte sie den Kopf in den Nacken und starrte lange nach oben.
    Noch nie
war der Himmel so nah.

5
     
    Lao Wang blickte auf den
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