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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel
Autoren: Haruki Murakami
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dem anschließenden Festessen ist er plötzlich ohnmächtig geworden. Sie haben ihn in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht. Man vermutet, daß es eine Art Schlaganfall war - wahrscheinlich verursacht durch eine angeborene Schwäche eines Hirngefäßes. In der Zeitung steht, daß er noch eine ganze Weile bettlägerig sein wird und daß er, selbst wenn er das Bewußtsein wiedererlangen sollte, wahrscheinlich nie wieder sprechen wird. Das wäre also das Ende seiner politischen Laufbahn. Wirklich schade: er war noch so jung. Ich laß Ihnen die Zeitung hier. Wenn Sie sich besser fühlen, können Sie das selbst nachlesen.« Ich brauchte eine Weile, um diese Tatsachen als solche in mich aufzunehmen. Die Bilder der Nachrichtensendung, die ich in der Hotelhalle gesehen hatte, waren mir noch zu deutlich, wie eingebrannt, im Gedächtnis - Noboru Watayas Büro in Akasaka, die Polizisten, die sich dort überall zu schaffen machten, der Haupteingang des Krankenhauses, der Reporter mit diesem verbissenen Ausdruck, dieser angespannten Stimme. Nach und nach aber gelang es mir, mich davon zu überzeugen, daß die Nachrichten, die ich gesehen hatte, nur in der anderen Welt Gültigkeit besaßen. In Wirklichkeit, in dieser Welt, hatte ich Noboru Wataya nicht mit einem Baseballschläger erschlagen. In dieser Wirklichkeit würde die Polizei nicht gegen mich ermitteln oder mich wegen des Verbrechens verhaften. Er hatte vor Zeugen, in aller Öffentlichkeit, einen Schlaganfall bekommen. Ein Verbrechen, auch nur die Möglichkeit eines Verbrechens, war völlig ausgeschlossen. Diese Einsicht bedeutete eine große Erleichterung für mich. Schließlich hatte der Täter, wie er im Fernsehen beschrieben worden war, eine auffallende Ähnlichkeit mit mir besessen, und ich hatte nicht das geringste Alibi. Zwischen der Tatsache, daß ich in der anderen Welt jemanden erschlagen hatte, und Noboru Watayas Zusammenbruch mußte allerdings irgendein Zusammenhang bestehen. Ich hatte eindeutig etwas in ihm - oder etwas wesenhaft mit ihm Verbundenes - getötet. Möglicherweise hatte er schon die ganze Zeit gespürt, daß es so kommen würde. Aber was ich getan hatte, war nicht genug gewesen, um Noboru Wataya das Leben zu nehmen. Er hatte es geschafft, sich am Rande des Abgrunds festzuklammern. Ich hätte ihn über die Kante stoßen sollen. Was würde jetzt aus Kumiko werden? Würde sie, solange er noch am Leben war, außerstande sein, sich endgültig loszureißen? Würde er sie noch aus seiner Bewußtlosigkeit heraus weiter in seinem Bann halten?
    Weiter als bis hierhin brachten mich meine Gedanken nicht. Auch mein Bewußtsein schwand allmählich dahin, bis ich zuletzt die Augen schloß und in Schlaf versank. Ich hatte einen nervösen, bruchstückhaften Traum. Kreta Kano hielt sich ein Baby an die Brust. Das Gesicht des Babys konnte ich nicht sehen. Kreta Kano hatte kurzes Haar, und sie war nicht geschminkt. Sie sagte mir, das Baby heiße Korsika, und zur Hälfte sei der Vater des Kindes ich, zur anderen Hälfte Leutnant Mamiya. Sie sei dann doch nicht nach Kreta gefahren, erzählte sie mir, sondern sei in Japan geblieben, um das Kind hier zur Welt zu bringen und aufzuziehen. Es sei ihr erst kürzlich gelungen, einen neuen Namen für das Kind zu finden, und jetzt führe sie ein friedliches Leben in den Hügeln von Hiroshima, wo sie zusammen mit Leutnant Mamiya Gemüse anbaue. Nichts davon überraschte mich besonders. Wenigstens im Traum hatte ich das alles vorhergesehen. »Wie ist es Malta Kano ergangen, seit ich sie zuletzt gesehen habe?« fragte ich. Darauf gab Kreta Kano keine Antwort. Sie sah mich nur traurig an, und dann verschwand sie.
     
    Am Morgen des dritten Tages war ich endlich imstande, das Bett aus eigener Kraft zu verlassen. Zum Gehen war ich zwar immer noch zu matt, aber allmählich gewann ich die Fähigkeit zu sprechen zurück. Muskat kochte mir Reisschleim.
    Ich aß das und ein wenig Obst.
    »Wie geht es eigentlich dem Kater?« fragte ich Muskat. Das hatte mich schon seit einiger Zeit beschäftigt.
    »Keine Sorge, Zimt kümmert sich um ihn. Er fährt jeden Tag zu Ihrem Haus, um ihm Futter und frisches Wasser zu geben. Der einzige, um den Sie sich momentan sorgen müssen, sind Sie selbst.«
    »Wann haben Sie vor, dieses Haus zu verkaufen?«
    »So bald wie möglich. Wahrscheinlich irgendwann nächsten Monat. Ich glaube, es wird dabei auch für Sie ein bißchen Geld herausspringen. Wir werden es wahrscheinlich für etwas weniger abgeben
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